Sonntag, Oktober 01, 2006

Neulich im ORF...

Wem ORF nichts sagt, der hat wahscheinlich noch nicht in Österreich ferngesehen, denn das ist die Abkürzung für Österreichischen RunFunk (der ähnlich wie in .de über eine quasi-GEZ-Gebühr finanziert wird, aber es nicht schafft auf seiner Homepage eine Suchfunktion einzurichten). Wenn man aber den Artikel auf der Christenfundiseite liest, dann könnte man fast meinen, es stehe für Ordentliche MeRkbeFreiung.

Stellt doch der ORF (Noch-)Bundeskanzler Schüssel, die Frage ob es oder ob es nicht einen Gottesbezug in der EU-Verfassung geben sollte (die Merkelbefreite hat sich ja auch schon dazu geäußert, insofern steht Österreich hier in schlechter Tradition). Anstatt jegliche Fantasiefiguren aus grundlegenden Gesetzestexten zu verweisen, kommen von Schüssel folgende Worte:

„Es wäre schön, wenn sie drinnen stünden, weil es ein Fakt ist.
Was ist ein Fakt? Gott? Der Gottesbezug? Wenn es ein Faktum wäre, dann sollte mal langsam jemand mit Beweisen antanzen - diese fehlen nämlich schon seit 2000 Jahren! Aber hören wir ihm weiter zu...



Europa ist vor allem in seiner Bildung, in seiner Architektur, in der Schule, in der Literatur, in der Musik eigentlich untrennbar mit dem Christentum verbunden.

Gut, die Verbundenheit will ich mal nicht anzweifeln, jedoch kann es nicht als Verdienst des Christentums angesehen werden. Das Christentum hat sich in Westeuropa seit dem Konzil von Nicäa immer breiter und breiter gemacht und alles verdrängt und zerstört was "unchristlich" war. Sollte man also diese Tradition der Zerstörung, der Ausbeutung, der Aufrechterhaltung der Sklaverei in eine Verfassung des 21. Jahrhunderts tradieren? Aber Schüssel ist ja noch nicht fertig...



Denken Sie nur an die Auftraggeber von wichtigen Komponisten, denken Sie an die ersten Schriften, die entstanden sind, das alles ist in Klöstern entstanden. Die ersten Schulen wurden von Orden entwickelt, die Weiterentwicklung der Begabungen, das ufspüren von Talenten war immer ein primäres Anliegen der Kirche. Zugleich war ie Kirche eine Institution, die immer in größeren Zusammenhängen gedacht hat."

Das Politiker frech lügen ist man mittlerweile ja gewohnt, dass sie so frech lügen wie hier ist aber dennoch ein starkes Stück. Warum? Wer hat denn den Leuten für eine Luftnummer den Zehnten abgepresst, welche Klerikerkaste war denn so reich, dass sie selbst noch die weltlichen Herrscher übertrafen? Und bzgl. der Bildung sollte das Folgende1 darüber Aufschluss geben können:

"Im Westen gibt es zur Zeit Augustins [Anm.: 354-430] kaum noch philosophische Schulen. Philosophie ist verpönt, ist des Teufels, der Erzvater der "Ketzerei", den Frommen ein Grauen. Auch an einem so bedeutenden Bildungszentrum wie Bordeaux wird Philosphie schon seit längerem nicht mehr gelehrt. Und selbst im Osten hat die 425 gegründete Universität von Konstantinopel, die größte und wichtigste Universität des Römischen Reiches, unter 31 Lehrstühlen nur einen für Philosophie.Die Kenntnis von längst vorhandenem Wissen verliert sich auf fast allen Gebieten. Der geistige Horizont verengt sich immer mehr. Von Afrika bis Gallien ist die antike Bildung erschüttert, in Italien nahezu verschwunden, Naturwissenschaft nicht gefragt;[...]
Das Lesen schöner Literatur wird abgetan. Sie ist gefährlich, weil weltlich. Ganze Synoden verbieten den Bischöfen die Lektüre paganer Bücher. Kurz, man forscht nicht mehr wissenschaftlich, prüft kaum mehr nach, man denkt immer weniger selbständig, die Kritik erlahmt, das Wissen schrumpft, die Vernunft wird verachtet.[...]
Die Laienbildung, die es im 6. Jahrundert noch gibt, erlöscht jetzt jahrhundertelang so gut wie ganz. Nur Kleriker können noch lesen und schreiben, oft schlecht genug.[...]
Im 7. Jahrhundert liegt die Bildung nahezu total darnieder. Von Afrika bis Gallien liest man fast ausschließlich Heiligenlegenden, Mönchsromane, und in der Schule unterrichtet man fast gänzlich anhand der Psalmen.[...]
Für die Aufnahme in ein benediktinisches Kloster des 6. Jahrhunderts spielte es keine Rolle, ob man lesen und schreiben konnte.[...] Entscheidend für den Klostereintritt war, dass der junge Mönch die Klosterregeln begriff, die ihm eingetrichtert wurden.
D.h. das Christentum war maßgeblich daran beteiligt, wenn nicht gar die Ursache dafür, dass Europa im finsteren Mittelalter versunken ist! Nix von wegen Bildung & Schöngeist, aber Schüssel war ja noch nicht fertig...


Ich glaube, dass der Beitrag des Christentums zum Werden Europas, zum Ist-Stand Europas unverzichtbar ist, und ich hätte nicht nur kein Problem damit gehabt, wären die christlichen Wurzeln auch in der Verfassung als Fakt verankert gewesen, sondern hätte es auch sehr begrüßt.

Natürlich ist/war der Beitrag unverzichtbar, haben doch (wie schon im letzten Artikel ausgeführt) die Prälaten Hitler maßgeblich, v.a. geistlich unterstützt den Lebensraum in den Osten zu erweitern (wie es schon vor ihm Karl der Große u.v.a. getan haben). Haben doch die christlichen Pfaffen allzeit die Schwerter & Kanonen gesegnet, oft selbst noch mitgekämpft, wenn es darum ging einen "Beitrag" für das "Werden Europas" zu leisten - v.a. für das christliche Werden, vor allem und gerade dann, wenn die eigenen Taschen noch gefüllt werden konnten.

Kirche, Krieg und Kapital - dreieinig sind sie allemal.
(Deschner)


Und weil Schüssel ja jetzt bei seiner Glaubensfrage angekommen ist, darf ich auch mal ein bisschen glauben:
Ich glaube, der Gottesbezug in dem Gesetzesfundament einer säkularen Gesellschaft ist mehr als flüssig, nämlich überflüssig, da eine Verfassung ohne lustige Geisterwesen (zumindest bis zu deren eindeutigem Nachweis), auszukommen hat.

PS: Es tut halt immer noch weh, wenn man sich für seine Landsleute schämen muss...
1: Deschner, Kriminalgeschichte des Christentums III. ISBN 3-499-60244-X

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