...aber bezogen auf die Zeit in der Holz das schrieb (1886) ist es einfach zu gut und zu kritisch um es vorzuenthalten.
Widmungsepistel zu "Buch der Zeit"
Arno Holz (1863-1929)
Drum lächle ich, wenn meine Herrn Kollegen
Sich tragisch vor den großen Spiegel stellen,
Dort ihren Missmut wie ein Äffchen hegen
Und sich ihr bisschen Leben selbst vergällen.
Zuwider sind mir jene faden Possen
Von einem ewigen Pessimistenleid,
Denn ich bin jung und noch zu tief verschossen
In Gottfried Kellers »grüne Erdenzeit!«
Ich trinke ihre Luft in vollen Zügen
Mit Wipfelwehen, Licht und Adlerschrei,
Und kein Talarmensch soll mich fromm belügen,
Dass diese junge Liebe »sündhaft« sei!
Lasst nur die ewig biblischen Asketen
Sich selbst in die Kamelshaartoga zwängen
Und nicht uns junge, lachende Poeten,
Die sich den Himmel noch voll Geigen hängen!
Zwar hab ich dann und wann »verrückte Touren«,
Doch zieh ich niemals vor mir selbst den Hut
Und braue meine lyrischen Mixturen
Aus Zuckerwasser und Tyrannenblut!
Auch bin ich Heide und als solcher zynisch
Und hasse nichts so wie die Prüderei,
Steh nicht zum Besten mit der Polizei
Und bin vor allem Eins nicht: misogynisch2!
Ja, ich geb's zu: Ein Weltkind bin auch ich
Und mag es leiden, »wenn der Becher schäumt«,
Und weiß trotz Don Juan wie süß es sich
An einem schönen Weiberherzen träumt!
Drum würgen möcht ich jene schwarzen Heuchler,
Die auf den Kanzeln jesuitisch flennen
Und hinterrücks als feige Unschuldsmeuchler
Die denkbar schlüpfrigsten Finessen kennen!
Ein Narr, wer heut sich nicht zu helfen weiß:
Erst schielt dies christlich frömmelnde Geschmeiß
Nach vollen Brüstchen und nach drallen Wädchen
Und dann - schreibt's Andachtsbücher und Traktätchen!
Doch dies und Andres auszusprechen,
Ist heut ein Majestätsverbrechen;
Denn »echt« kann man als Dichter sein
Nur harmlos wie Hans Huckebein!
Zwar glaub auch ich, dass unsre Ahnen Affen,
Doch will ich heut mal mythologisch sein
Und sage, Gott hat Eva nackt geschaffen,
Das Feigenblättchen kam erst hinterdrein!
Doch, Ihr verzeiht! Ich wollte ja dies Thema
Als all zu spitz nicht länger mehr traktieren,
Auch nötigt mich zudem mein dummes Schema
Mich schleunigst in ein Andres zu verlieren!
Da sind vor allem jene Glaubenseifrer,
Die Finsterlinge und die Weltbegeifrer,
Die überall, wo sie noch Herzblut wittern,
Uns unser Leben demutsvoll verbittern!
Zwar immer opfert noch der Riese Wahn
Dem alten Vizegott im Vatikan
Und immer schneidern sich noch die Germanen
Aus Christi Windeln bunte Kirchenfahnen:
Doch ob er manchmal auch ihr Glück zerfrisst,
Der beste Freund der kranken Menschheit ist
Vom Ölberg bis zur - Reim her! - hohen Eifel
Der alte Weltprofessor Doktor Zweifel!
Vermorscht ist endlich in sich selbst die Zeit
Der hohlen Köpfe und der leeren Worte
Und ihrem sichern Untergang geweiht
Sankt Peters kahlgeschorne Schmutzkohorte!
Doch glaub nicht, dass man als »Tendenz«-Poet
Die »Segnungen der Kirche« nicht versteht!
In manchem Münster nistete die Taube,
Vor der Legende bog die Welt ihr Knie;
Des Mittelalters frommer Köhlerglaube,
Ich weiß es wohl, auch er war Poesie!
Im Klostergarten wehten grün die Eiben
Und man vergaß so gern den grellen Tag,
Wenn zitternd durch die buntbemalten Scheiben
Das Mondlicht silbern auf den Fliesen lag!
Doch jene Welt gebiert sich nimmer wieder,
Denn unsre Zeit nennt sich die Zeit des Lichts
Und andre Menschen wollen andre Lieder
Und für's Gewesne - gibt der Jude nichts!
Man glaubt nicht mehr an »himmlische Gesichte«
Und flüchtet skeptisch sich ins Voltairetum:
»Der größte Schwindel dieser Weltgeschichte,
Der größte Humbug ist das Christentum!«
Noch war, seit es die »Heiden« sich geduckt,
Kein Tag, an dem es nicht sein Blut geschluckt!
Und wagt sich frömmelnd pfäffische Sophistik
An die Behauptung, dass mein Vorwurf hinkt,
Dann schlagt nur nach die grause Blutstatistik,
Die wie ein Schandpfuhl wüst zum Himmel stinkt!
Millionen hörte die Geschichte jammern
Auf Scheiterhaufen und in Folterkammern,
Denn jenes Kreuzbild schreckte Mann und Weib,
Ja, selbst den Embryo im Mutterleib!
Von ihrer »Bruder«-Liebe sprach sie viel,
Der ewige Friede war ihr köstlich Ziel,
Doch wenn sie fromm in Köln die Juden hetzte
Und ihren Fuß in die Sevennen setzte,
Dann war die Kirche, dieses Schlangennest,
Erbarmungsloser als die schwarze Pest!
Doch enden wird auch dieser grause Fluch,
Denn jung ist unsre Zeit und wenig zahm
Und unterschrieb in ihrem Wörterbuch
Das alte Wutwort: Écrasez l'Infâme!
Ja: erst wenn abgetan samt Stab und Stola
Die alte Lügenmutter des Loyola,
Erst dann wird uns geheiligt Brod und Wein
Und jedes Mahl ein Mahl der Liebe sein!
Es ist die Welt mit ihren grünen Landen
Ein braves Wohnhaus und kein Lazarett,
Und Niemand hat sie ärger missverstanden,
Als jener Zimmrerssohn aus Nazareth.
Das heißt, nur jener, den die Pfaffen lehren,
Nicht jener, den wir heut noch selber ehren!
Für mich ist jener Rabbi Jesus Christ
Nichts weiter, als - der erste Sozialist!
Auch sag ich, nützlicher als alle Bibeln
Sind momentan uns unsre Volksschulfibeln!
Denn nur ein Narr beugt heut noch seinen Nacken
Vor Göttern, die - aus Weizenmehl gebacken!
Mein Lieblingsbuch betitl' ich Don Quixote
Und bin in Glaubenssachen Sansculotte.
Doch pfeif ich auch auf alles Jenseitsheil,
So bin ich darum noch kein Gottverächter,
Nur glaub ich stramm, der Menschheit bestes Teil
Ist jenes althomerische Gelächter!
Vorzüglich, wenn, umspickt von Bajonetten,
Ihr noch energisch die Geduld nicht riss
In einer Ära der Papiermanschetten,
Des Lustmords und der Syphilis!
Doch dies und andres auszusprechen
Ist heut ein Majestätsverbrechen;
Denn »echt« kann man als Dichter sein
Nur harmlos wie Hans Huckebein!
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