Donnerstag, Oktober 11, 2007

Die po8ische Rezension #6

Dalai Lama, Fall eines Gottkönigs - Colin Goldner
(ISBN: 978-3932710216, z.Zt. anscheinend vergriffen bzw. in Neuauflage)

Ähnlich wie Mynareks Papstentzauberung ist Goldners Buch eines der wenigen Juwele auf dem deutschen Buchmarkt, das sich nicht in endloser Lobhudelei über seine Scheinheiligkeit, den Vorturner der tibetischen Gelbmützen, Tenzin Gyatso oder, wie er mit seinem Geburtsnamen heißt, Lhamo Dhondrub auslässt. Goldners Sachverstand (er besitzt m.W. eine psychotherapeutische Hochschulausbildung) sowie seine lockere Art zu schreiben ohne dabei eine dezidierte Quellenarbeit zu vernachlässigen machen das Buch zu einem Genuß und einem Augenöffner zugleich.

Leseprobe (Quellenangaben entfernt):

Die Macht des buddhistischen Klerus über Tibet kannte bis zum Einmarsch der Chinesen im Jahre 1950 praktisch keine Einschränkung. Mittels eines enggespannten Netzes an Klöstern - laut Propaganda der exiltibetischen Regierung habe es mehr als 6.000 davon gegeben -, wurde das tibetische Volk gnadenlos unterdrückt und ausgebeutet. Ein Riesenheer ordinierter Mönche (die Zahlen für die Zeit vor 1959 schwanken zwischen 114.000 und 500.000) machten Tibet zu einer absolutistischen Theokratie, die sämtliche Belange des Lebens durchherrschte: praktisch jede Familie stellte zumindest ein männliches Mitglied an den Klerus ab (in der streng patriarchalen Kultur des tibetischen Buddhismus spielten und spielen Frauen bzw. Nonnen nur eine untergeordnete Rolle).

Um monastischen Nachwuchs heranzuziehen, wurden und werden kleine Jungen, oft schon im Alter von zwei bis drei Jahren, ihren Müttem weggenommen (bzw. von diesen weggegeben, um für sich selbst ,,spirituelles Verdienst'' zu erlangen; getrennt von ihrer Familie leben die Jungen hinfort in einer ausschließlich von Männern geprägten, äußerst repressiven Klosterwelt, in der sie, ohne jeden Kontakt zu realen Frauen, einer überdies extrem frauenfeindlichen Erziehung unterworfen sind. Einer der meistzitierten tibetischen Lehrer, mit dem die Mönchsschüler konfrontiert werden, ist der Mystiker Milarepa (1040-1123 u.Z.), dessen gesammelte Erkenntnis auch außerhalb der Klöster weit verbreitet ist. Laut Milarepa ist ,,die Frau immer eine Unruhestifterin (...) die primäre Ursache des Leidens (...) im besten Fall kann sie anderen dienen, im schlimmsten Fall bringt sie Mißgeschick und Unglück''. Sie sei, karmisch bedingt, ein prinzipiell übles und minderwertiges Wesen, aufgrund ihrer ,,Neigung zu schlechten Gewohnheiten, die in der Vergangenheit entstanden ist, (...) in der niederen Form einer Frau geboren''. Der Abscheu Frauen gegenüber wird systematisch gesteigert durch Meditationstexte, die die Mönchsschüler auswendig zu lernen haben: So sei etwa die ,,Gebärmutter [gemeint ist vermutlich die Vagina, d. A.] äußerst unrein und übelriechend. Denn diese ist mit Eiter, Blut, Getier und anderem völlig angefüllt. Diese sehr beengende dunkle Höhlung ist ein Sammelpunkt größter Schrecken.''
Leider ist das Buch aus dem Jahr 1999, so dass die letzten 8 Jahre im Leben des tibetischen Grinsebärs fehlen, was aber wahrscheinlich mit einer aktualisierten Auflage wettgemacht wird.

8 von 8 möglichen Punkten

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

ich hab vor kurzem von einer umfrage gelesen, bei der 70% der befragten deutschen den dalai lama als eines ihrer vorbilder genannt haben. hä?
ich weiß nix über den knaben und ich unterstelle den 70%: die wissen auch nix.

die leute fühlen sich scheinbar gut, wenn sie ihn als vorbild nennen.
religion ist opium fürs volk.

Anonym hat gesagt…

Natürlich steckt hinter dem Votum nix als unreflektiertes Nachplappern lobhudelnder Medienberichte.

Das ist ja nix neues. Was mich an der Sache wirklich erschreckt, sind die unkritisch lobhudelnden Medien...

Po8 hat gesagt…

@wolfi
Gem. diesem Eintrag waren es lediglich 44% - aber auch das sind 44% zu viel... ;-)

@Fischer
Volle Zustimmung! Ich vermisse schon seit längerem den kritischen Journalismus... den hat Augstein wohl mit ins Grab genommen *hmpf*

Anonym hat gesagt…

uuups, falsche zahl? na, 44 und 70, das hört sich doch fast gleich an:-)

ich behaupte auch nicht, daß die alle recht bzw. unrecht haben (mir wurscht).
mich nervt nur das scheinheilige getue. jeder trottel sagt 'dalai lama', legt dabei den kopf leicht schief und kommt sich dabei gütig und milde vor. auch wenn er am vorabend seine kinder grün und blau geschlagen hat.
und wenn drei kaffeetanten am tisch sitzen und lesen zusammen einen 'bild' -artikel über den dalai lama, dann glauben sie doch, sie hätten die welt dadurch schon ein stück weit besser gemacht. auch wenn sie sonst drei gehässige spinatwachteln sind.

die große esotherik welle.
du bestellst dir ein poster vom dalai lama beim otto versand. karma-tuning und absolution inklusive!
und wenn du dann noch dreimal im jahr - vielleicht beim staubsaugen - ein räucherstäbchen drunter abbrennst, dann ist dir das paradies praktisch sicher.

oder - du nennst den dalai lama als vorbild. wirkt aber erst nach der dritten anwendung. vielleicht daher die inflation.