Warum die christliche Position zur Abtreibung biblisch unhaltbar ist.
Abtreibung scheint, wenn man der christlichen Propaganda folgen will, wohl das Schlimmste überhaupt zu sein und anstatt sich dem ethischen Dilemma zu stellen, nämlich zwischen dem Leid des Fötus und dem Leid der abtreibungswilligen Mutter abzuwägen, wird dogmatisch propagiert, dass mit der befruchteten Eizelle das menschliche Leben beginnt. Man hängt sich teebeutelartig in jedwede Diskussion, behauptet Abtreibungen seien das Hauptproblem (siehe hier) und selbst Mutter Teresa, deren "Werke" völlig unverdient mit dem Friedensnobelpreis gewürdigt wurden, sprach bei ihrer Rede in Stockholm von genau diesen "Morden". Auffällig auch das Vokabular, so ist z.B. vom "Babycaust" zu lesen oder vom "(ungebornenen) Kinder-Mord" usw.. Ich habe dieses Thema ohnehin schon hier und hier angerissen.
Heute soll es aber darum gehen, was zum Thema im hl.Märchenbuch steht. Ich möchte an dieser Stelle auch noch auf den kath. Katechismus verweisen, der bekräftigt, das "die Christen ... das Alte Testament als wahres Wort Gottes [verehren]". Abtreibung war schon in der Antike (übrigens neben Verhütung) und sehr wahrscheinlich auch weit davor bekannt, d.h. sowohl Skeptiker als auch Gläubige können davon ausgehen, dass wenn sich Gott (oder wer auch immer der heilige Ghostwriter war) dazu äußern wollte, es bestimmt auch getan hätte.
Das erste interessante Faktum ist, dass an keiner Stelle Abtreibung explizit verboten wird (obwohl ansonsten ja für so ziemlich jeden Blödsinn ein "Gesetz" erlassen wurde). Doch noch viel interessanter sind die Aussagen über Föten bzw. deren "Wert" im Verhältnis zu anderen Mitgliedern der Gesellschaft, so liest man in 2. Mose 21,22-24:
Wenn Männer miteinander streiten und stoßen dabei eine schwangere Frau, so dass ihr die Frucht abgeht, ihr aber sonst kein Schaden widerfährt, so soll man ihn um Geld strafen, wie viel ihr Ehemann ihm auferlegt, und er soll's geben durch die Hand der Richter. Entsteht ein dauernder Schaden, so sollst du geben Leben um Leben, Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand, Fuß um Fuß, Brandmal um Brandmal, Beule um Beule, Wunde um Wunde.
Hier wird explizit das Leben der Frau höher gewertet als das Leben des Fötus. Es ist nicht von Mord die Rede, sondern nur von einem Schaden, welcher durch Geld auszugleichen ist, obschon bei Erwachsenen das "Auge-um-Auge"-Prinzip anzuwenden sei (abgesehen davon, dass das ja schöne Raufbolde gewesen sein mussten). Dass aber hierbei nicht der Wert des Kindes ausgeglichen werden soll, sondern eher das Leid der Frau legt die nächste Stelle nahe (3. Mose 27,1ff):
Und der HERR redete mit Mose und sprach: Rede mit den Israeliten und sprich zu ihnen: Wenn jemand dem HERRN ein Gelübde getan hat, das abgelöst werden soll, und es sich um einen Menschen handelt, so soll das deine Schätzung sein: Einen Mann von zwanzig bis sechzig Jahren sollst du schätzen auf fünfzig Lot Silber nach dem Gewicht des Heiligtums, eine Frau auf dreißig Lot Silber. Von fünf Jahren bis zwanzig Jahren sollst du, wenn es ein Mann ist, schätzen auf zwanzig Lot Silber, eine Frau aber auf zehn Lot Silber. Von einem Monat an bis auf fünf Jahre sollst du, wenn es ein Knabe ist, schätzen auf fünf Lot Silber, ein Mädchen aber auf drei Lot Silber. Bei sechzig Jahren und darüber sollst du, wenn es ein Mann ist, schätzen auf fünfzehn Lot Silber, eine Frau aber auf zehn Lot Silber.
Hier beginnt die "Schätzung" erst mit einem Monat nach der Geburt, d.h. Neugeborene und Föten haben gar keinen Wert. Das passt auch hevorragend zum historischen Kontext, denn in kinderreichen Familien in vorindustrieller Zeit war es "normal" dass von einem Dutzend nicht alle die Pubertät erreichten und tote Mütter im Kindbett sowie Todgeburten waren an der Tagesordnung.
Dies wird noch an anderer Stelle (4. Mose 3,15) bestätigt, da hier Kinder unter einem Monat noch nicht mal als Person gewertet werden, somit als nicht zählenswert erachtet:
Zähle die Söhne Levi nach ihren Sippen und Geschlechtern, alles, was männlich ist, einen Monat alt und darüber.
Doch auch hier ist das Ende der Fahnenstange götlichen Ratschlusses noch nicht erreicht, denn er selbst befiehlt (implizit) Schwangere und somit deren Föten umzubringen oder bringt diese gleich selbst um:
Zähle die Söhne Levi nach ihren Sippen und Geschlechtern, alles, was männlich ist, einen Monat alt und darüber. (4. Mose 31,15)
Auch wenn sie gebären würden, will ich doch die ersehnte Frucht ihres Leibes töten. (Hos 9,16)
Samaria wird wüst werden; denn es ist seinem Gott ungehorsam. Sie sollen durchs Schwert fallen und ihre kleinen Kinder zerschmettert und ihre Schwangeren aufgeschlitzt werden. (Hos 14,1)
Weiters bestraft er auch noch Schwangere durch einen Tod des Neugeborenen oder verflucht sie dazu:
(Letztere Passage ist auch noch mal sehr anschaulich bei "The Brick Testament" dargestellt.)Aber weil du die Feinde des HERRN durch diese Sache zum Lästern gebracht hast, wird der Sohn, der dir geboren ist, des Todes sterben. (2. Sam 12,14)
Wenn du aber deinem Mann untreu geworden bist, dass du unrein wurdest, und hat jemand bei dir gelegen außer deinem Mann, - so soll der Priester mit einem Verwünschungsschwur die Frau beschwören und zu ihr sagen: Der HERR mache deinen Namen zum Fluch und zur Verwünschung unter deinem Volk, dadurch, dass der HERR deine Hüfte schwinden und deinen Bauch schwellen lässt. So gehe nun das fluchbringende Wasser in deinen Leib, dass dein Bauch schwelle und deine Hüfte schwinde! Und die Frau soll sagen: Amen! Amen! Dann soll der Priester diese Flüche auf einen Zettel schreiben und mit dem bitteren Wasser abwaschen und soll der Frau von dem bitteren, fluchbringenden Wasser zu trinken geben. Und wenn das fluchbringende, bittere Wasser in sie gegangen ist, soll der Priester von ihrer Hand das Eifersuchtsopfer nehmen und als Speisopfer vor dem HERRN schwingen und auf dem Altar opfern, nämlich: er soll eine Hand voll vom Speisopfer nehmen als Gedenkopfer und es auf dem Altar in Rauch aufgehen lassen und danach der Frau das Wasser zu trinken geben. Und wenn sie das Wasser getrunken hat und unrein ist und sich an ihrem Mann versündigt hat, so wird das fluchbringende Wasser in sie gehen und ihr zum Verderben werden, dass ihr der Bauch schwellen und die Hüfte schwinden wird, und es wird die Frau zum Fluch werden unter ihrem Volk. Hat sich aber eine solche Frau nicht unrein gemacht, sondern ist sie rein, so wird's ihr nicht schaden und sie kann schwanger werden. (4. Mose 5,20ff)
Wie gezeigt lässt sich die christliche Extremposition gegen Abtreibung nur dadurch halten, indem man stark exegiert, d.h. Bibelstellen interpretiert oder unterschiedlich gewichtet (z.B. "du sollst nicht töten" auch auf Föten ausweitet). Die Strategie dahinter ist recht simpel. Unter Missachtung aller biologischen Fakten (bis zur 7. Woche hat ein Fötus noch kein Nervensystem entwickelt, ist also per definitionem nicht leidensfähig) werden Frauen dazu verdonnert alles auf die Welt zu bringen, was man auf die Welt bringen kann. Und das alles nur, weil eben Föten so schön menschenähnlich aussehen (klar, was auch sonst?) und hier so schön ein biologisches Prinzip ausgenutzt werden kann, nämlich dass Erwachsene auf das Kindchenschema anspringen (Erwachsene, die das nicht in dem Maße taten, sind eh ausgestorben).
Die Doppelmoral dahinter ist kaum zu übersehen: jahrhundertelang wurden Frauen zur heimlichen Abtreibung getrieben, weil außerehelicher (einvernehmlicher) Geschlechtsverkehr gem. kirchlicher Doktrin verboten und Sünde war, d.h. auf die seltsamen Moralvorstellungen des Klerus gehen ein guter Teil eben dieser Abtreibungen. Heute, wo alleinerziehende Mütter fast schon an der Tagesordnung sind, thematisiert man das natürlich nicht mehr sondern stürzt sich auf eine gesellschaftliche Extremposition (ähnlich auch mit der Sterbehilfe) um hier ein paar Extremisten abzugreifen (und das ohne vernünftige Argumente). Schlimmer noch, durch ein generelles Abtreibungsverbot würden all jene Frauen wieder in die Illegalität gedrängt, aus welcher sie die Aufklärung und der Humanismus erst jüngst befreiten.
Bezeichnend ist auch, was die europäischen Bischöfe zum Thema EU und Abtreibung zu sagen haben:
„Die Europäische Union hat keinerlei Entscheidungsbefugnis oder Kompetenz bezüglich Abtreibung oder irgendeiner Frage, die im Bezug zu Leistungen sexueller und reproduktiver Gesundheitsdienste steht“
D.h. der Gesamtheit der europäischen Bevölkerung, respektive ihrer politischen Vertreter, wird die Kompetenz abgesprochen über Derartiges zu entscheiden. Sehr interessant, dass sich im Gegenzug aber ein paar hauptamtliche sonntägliche Travestiekünstler mit alten Beduinenschriften hierbei für kompetent erachten. Man könnte auch sagen: das stinkt zum Himmel!
Inzwischen wimmelt das in den Slums aller Länder, die Knie der glücklichen Mütter werden von Geschöpfen umspielt, die später in den Kohlenbergwerken oder in den Ackergräben für den Profit der anderen verrecken dürfen... aber: es ist nicht abgetrieben worden. Der Kranz, der Kranz ist gerettet!
(Kurt Tucholsky)