Dienstag, September 02, 2008

Das Wort zum Sonntag #55

Thema heute:
Warum Religion nur willkürliche Moral liefern kann.


Dank des klerikalen Marketing hat sich die (Wahn)Vorstellung in vielen Köpfen festgesetzt, dass Religion bzw. religiöse Erziehung zu mehr Moral bzw. zu moralischerem (und damit impliziert) besserem Verhalten führe, als ein Aufwachsen in einer gottlosen Umgebung. Hier werden auch meist die beiden "atheistischen Gespenster", nämlich Nazi-Deutschland oder der sowjetische Stalinismus, vorgebracht, unbesehen der Tatsache, dass die 5% Atheisten in der Bevölkerung damals Hitler gar nicht an die Macht bringen konnten und dass die russisch-orthodoxe Kirche auch keine Probleme hatte mit den Stalinisten zu kooperieren.


Dabei ist die Problematik über die göttliche Begründung der Moral schon seit Platon bekannt. Er formulierte dies, wenn auch nicht vollständig durchdacht, in dem Dialog Euthyphron, welcher zu folgendem Dilemma führt:

Angenommen Gott erscheint und erteilt folgenden Befehl:
Szenario 1: Schenke einem Bedürftigen 100 €
Szenario 2: Foltere deinen Nachbarn

Der Befehl aus Szenario 1 erscheint offensichtlich als eher positiv, egal ob er von einem Gott, dem Vorgesetzten oder der Ehefrau/dem Ehemann kommt.


Beim Befehl aus Szenario 2 ist die Lage schon erheblich schwieriger. Hier widerspricht der Befehl offensichtlich dem allgemeinen moralischen Standard, dass nämlich Folter inhuman ist. Wird diese nun von einem Gott befohlen ergeben sich mehrere Möglichkeiten:

a) Gott ist ein Sadist
b) Gott verfügt über mehr Wissen (z.B. dass der Nachbar die Welt in die Luft sprengen will und nur unter Folter seinen teuflischen Plan gesteht)
c) Gott will nur den Glauben testen
d) ...

D.h. egal welcher Befehl von Gott kommt, man sollte in höchstem Maße vorsichtig sein. Noch dazu zeigt dieses Dilemma auch, dass egal welcher Befehl von Gott kommt, es immer einer moralischen Beurteilung des Menschen bedarf, bevor man diesen umsetzt.


Welcher Weg könnte nun aus diesem Dilemma führen? Nun, wenn Gott keinen Befehl, sondern eine Regel aufstellen würde, d.h. eine Regel ist eine Kombination aus einem Verhaltensvorschlag mit einer zusätzlichen Begründung. Z.B. könnte Gott folgende Regel aufstellen:
Verhalte dich fair gegenüber deinem Nächsten und deinem Fernsten! Du wirst nicht alle Menschen lieben können, aber du solltest respektieren, dass jeder Mensch – auch der von dir ungeliebte! – das Recht hat, seine individuellen Vorstellungen von „gutem Leben (und Sterben) im Diesseits“ zu verwirklichen, sofern er dadurch nicht gegen die gleichberechtigten Interessen Anderer verstößt.

Eine solche Regel ist aus sich heraus verständlich. Das Problem dabei ist nun, dass es zur Aufstellung solcherlei Regeln keines Gottes bedarf (der Vorgesetzte oder der Lebensabschnittsgefährte hätte etwas vergleichbares von sich geben können), denn die Begründung macht eine göttliche Autorität (welche dem Befehl oder Gebot den nötigen Nachdruck verleiht) völlig überflüssig. Schlimmer noch, jeder unbegründete Befehl Gottes erscheint höchst willkürlich und weckt massive Zweifel.

Als weitere Erschwernis kommt hinzu, dass die allermeisten von uns noch keine göttlichen Befehle empfangen haben, sondern absolut alles, d.h. Bibel, Koran, Veden usw.usf wurde von Menschen aufgeschrieben (auch wenn sie diese Befehle evtl. durch göttliches Diktat empfangen zu haben glauben). Somit sollte man bei dererlei Befehlen oder Geboten zusätzlich auf der Hut sein, denn ein Gebot, dass von einem Menschen unter den göttlichen Diktus gestellt wurde, nur um seine eigenen Ziele zu verfolgen, lässt sich nicht von einem Gebot unterscheiden, das ein Gott zur Verfolgung seiner eigenen Ziele (oder zum Wohl der Menschheit) aufstellt.

Fazit: Moral kann kann aus einer Religion heraus kommen, doch wenn diese nicht willkürlich sein will (d.h. eine Regel liefert), so ist die Religion überflüssig. Mutatis mutandis gilt das natürlich ebenso für den dahintestehenden Gott/Götter.

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