Sonntag, August 10, 2008

Das Wort zum Sonntag #52

Thema heute:
Stiftet Religion Sinn oder Unsinn?

Eine gern kolportierte Tugend von Religionen ist, dass diese so schön sinnstifend sein sollen. Das ganze Leben ist, wenn man es aus der Brille eines Wissenschaftlers betrachtet, größtenteils planlos ("der blinde Uhrmacher"), sinnlos und größtenteils voller Leid. Wie schön, dass man sich doch einfach durch eine Märchengeschichte einen Sinn hineinfabulieren kann.

Doch welchen Sinn vermitteln Religionen eigentlich? Ausgehend von den drei Monotheistischen Religionen könnte man diesen mal wie folgt subsummieren:
  1. Es steckt ein tiefer Sinn in allem, den wir nur nicht kennen (Gottes Plan o.ä.).
  2. Sinnloses Leid ist bestandteil dieses "Plans".
  3. Ein allmächtiges Wesen (aka Gott, Allah etc.) steht hinter allem und hat uns ganz schrecklich lieb.
  4. Mit dem Tod ist nicht alles aus, sondern je nach Betragen geht es unendlich weiter (auf die eine oder andere Art).
Der erste Punkt ist schon an sich recht hanebüchen, denn wie will man einen Sinn im Leben finden, wenn sich dieser auf einen prinzipiell unerschließbaren Plan gründet? So etwas mag vielleicht als Placebo-Beruhigung durchgehen, eine sinnstiftende Qualität hat ein Plan, den man nicht kennt, nicht.

Die größte Herausforderung für ein Sinngebungsverfahren ist für uns der Anblick sinnlosen Leids. Ob jetzt Menschen, die wir lieben, von tödlichen Krankheiten dahingerafft werden oder uns Unbekannte bei Naturkatastrophen umkommen, die Frage nach dem Warum, nach dem Sinn, ist immer offen. Auch hier bietet Religion wiederum nur ein Placebo an, in dem Angehörigen (denn die Betroffenen haben es meist eh schon hinter sich) vermittelt wird, ihr Verstorbener wäre Bestandteil in diesem tollen Plan und hätte somit seinen wertvollen Beitrag zum Gelingen desselben geleistet. Wahrscheinlich kommt so eine Herangehensweise nicht nur mir zynisch vor, denn mit einer deraritigen Begründung, einer derartigen "Sinnstiftung" lässt sich jegliches menschgemachtes und nicht-menschgemachtes Gräuel rechtfertigen. Und auch hier gilt, eine nicht nachvollziehbare Begründung für Leid ist eben keine Begründung und darin lässt sich auch kein Sinn finden.

An der Idee, dass es irgendjemanden gibt, der allüberall ist und v.a. die Spezies Mensch ganz furchtbar doll liebhat, sollte man nach dem zweiten Punkt schon berechtigte Zweifel haben - diese Punkte schließen sich gegenseitig aus und lassen sich nur mit theologischem Doppeldenk auf einen Nenner bringen (oder man hat eine seltsame Definition von Allgüte & Liebe). Doch welchen Sinn stiftet das Wissen, dass man eine Entität rund um die Uhr um sich weiß? Also ich vermute mal selbst schwer ineinander Verliebte wollen den angebeteten Partner nicht jede Sekunde um sich wissen, mit ihm aufs Klo gehen, oder gemeinsam Zähneputzen, Fußnägelschneiden und Pickelausdrücken. Und genauso verkommt ja auch der jeweilige Gott zu einem unsichtbaren Freund, den man immer genau dann aus der Mottenkiste holt, wenn man gerade einsam ist, gedanklich Leerlauf hat oder gewisse Rituale anstehen. Die übrige Zeit, also beim Kacken, Fußnägelschneiden oder Pickelausdrücken ist Gott genauso ins Nebenzimmer gestellt, wie der jeweilige Lebensabschnittsgefährte. Doch welchen Sinn stiftet eine solches Wesen? Zum einen könnte es der Überwachungsgott sein, auf Grund dessen rund um die Uhr Überwachung sich der Gläubige nicht zu "sündigen" getraut, seinem Leben somit mehr Sinn bzw. ein besseres ethisches Verhalten verleiht (was bei den übrigen Menschen allerdings Nachdenken und ein gesundes Gewissen besorgt und die ethischen Maßstäbe von Religionen sind äußerst zweifelhaft, aber davon mal abgesehen), zum anderen könnte diese Allumarmung zu einem andauerden Geborgenheits- und Hochgefühl führen, was gut mit dem ersten Punkt harmoniert, denn man spielt ja eine außergewöhnliche Rolle im Plan und sieht den "Sinn" somit bestätigt (bei anderen Leuten besorgt das ein gesundes Selbstvertrauen bzw. -wertgefühl). Jedoch kann das alles nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass nicht tatsächliche Anwesenheit den Sinn stiftet, sondern nur die geglaubte. D.h. man kann genauso gut - wie Sam Harris es beschrieb - sich einen kühlschrankgroßen Diamanten in seinen Garten hineindenken und behaupten, dass das Leben erst richtig Sinn ergebe, seit man um diesen Diamanten (den man natürlich nie ausgraben würde) weiß. Dieser Diamant gibt so eine unglaubliche Beruhigung, dass man gar nicht weiß wie irgendein anderer Mensch ohne einen solchen überhaupt leben könne etc.blabla.

Und letztlich noch die "Überwindung" des Todes. Meist wird dies unterschwellig mit der Frage eingeleitet, welchen Sinn denn unser ganzes Dasein überhaupt habe, wenn doch mit dem Tod sowieso alles vorbei ist, wenn alle Gefühle, alle Gedanken, Freundschaften, Beziehungen und all das, was uns im Leben wichtig war, mit dem Tod sein Ende findet. Eine derartige Betrachtung erscheint auf den ersten Blick offensichtlich sinnlos. Doch jetzt zieht man religiöserseits das Kaninchen aus dem Hut und beginnt das "Leben nach dem Tod" (an dieser Stelle sei angemerkt, dass die Wenigsten an ein "Leben vor der Geburt" glauben - Reinkarnationsgläubige ausgenommen, aber das ist eh ein Kapitel für sich - genausowenig wie an ein "Leben nach dem Leben nach dem Tod" oder an ein "Leben nach dem Leben nach dem Leben nach dem Tod" usw.). Willkürlich wird hier die Annahme getroffen, dass unsere Existenz nicht mit unserem physischen Körper verschwindet, sondern dass wir Menschen (hier ist man nämlich sehr chauvinistisch, müsste man doch ansonsten den Himmel mit Stechmücken, Spinnen und sonstigem Getier teilen) noch über eine "unsterbliche Seele" o.ä. verfügen (die natürlich auch wie der Gott unsichtbar und nicht erkennbar ist...), welche das Wesentliche aus dem irdischen Leben mitnimmt und bis in alle Ewigkeit fortlebt - wo, das entscheidet selbstverständlich der entsprechende Gott. Der einzige Sinn in dieser eschatologischen (=jenseitsgerichteten) Betrachtungsweise, den ich erkennen kann, lautet: bringt alle kleinen Kinder um, damit sie so schnell wie möglich zu ihrem tollen ewigen Leben gelangen können. Das wäre aber nicht im Sinne des Erfinders, und so hat jede eschatologisch ausgerichtete Religion Verbote zur Selbsttötung und Tötung anderer aufgestellt. Doch lassen wir diese Betrachtung mal außen vor, so stiftet auch ein jenseitsgerichtetes Leben im Diesseits wenig bis gar keinen Sinn. Es besteht sogar die Gefahr, diesseitigen real greifbaren Sinn (z.B. Gründung einer Familie, Selbstverwirklichung, Erkundung des Planeten etc.) zu Gunsten eines jenseitigen zu opfern.

Aus den gezeigten Beispielen lässt sich leicht erkennen, dass den Menschen innerhalb der Religion nicht wirklich ein Weg der Sinnsuche aufgezeigt, wohl aber abgeschmackte Sinntheorien vorgesetzt werden, die einer kritischen Prüfung nicht standhalten. Es werden durch die Religionen nur die Sinnfragen beantwortet, die von selbigen vorher aufgestellt wurden unter der Prämisse, dass die jeweilige Religion die absolute Wahrheit™ gepachtet habe.

Fazit aus dieser kleinen und selbstverständlich unvollständigen Analyse:
Wer auf billige Pseudosinnstiftung steht, der wähle Religion!
Leben, das Sinn hätte, fragte nicht danach.
(Theodor Adorno)

2 Kommentare:

Tammo Oxhoft hat gesagt…

Die Frage nach dem „Warum“ verkommt in der Regel doch zum Ritual.
Jedesmal, wenn etwas „schreckliches“ passiert, das man plaktativ erfassen kann - also zum Bespiel: Mutter wird von LKW-Fahrer erfasst, Kind wird vom Balkon geworfen, Süßes Pferdefohlen wird mit Schwert erstochen aufgefunden - kann man sicher sein, daß sich eine Betroffenen-Fraktion zusammen rottet und an der Unglücksstelle Pappschilder mit der Aufschrift „WARUM???“ hochhält.
Antworten werden aber offenbar nicht erwartet, denn sonst müßte man doch diese selbst gestalteten „Warum“-Schildchen erst recht bei objektiv viel größeren Katastrophen sehen - sagen wir mal dem Völkermord in Ruanda, oder der letzten Überschwemmungskatastrophe in China.
Zu Ruanda, oder dem Holokaust hätte ich persönlich ja viel lieber mal einen O-Ton vom Lieben Gott.
Die Plattköppe, die sich mit ihren Warum-Pappen an den Straßenrand stellen, erwarten aber vermutlich nicht im Ernst, daß jemand vorbei kommt und Antworten gibt, sondern verstehen die zu Pappe gebrachte Frage eher als Ausweis ihrer eigenen Betroffenheit - die natürlich öffentlich zelebriert werden sollte und möglichst in Kameras gehalten werden muß.
Eine theologische Antwort nach der Begründung für Leid, könnte man doch besser im stillen Kämmerlein ergründen - aber dann sähen die anderen ja nicht welch guter und mitfühlender Mensch man ist.

Po8 hat gesagt…

"Antworten werden aber offenbar nicht erwartet,..."

Ergänzend noch: und auch nicht geboten! Denn sonst könnte man sich natürlich diese "Warum"-Schildchen auch sparen. Ein übergeordneter, ein ontologischer Sinn, der nicht verständlich ist, ist äquivalent zu gar keinem Sinn.