Samstag, Februar 23, 2008

Das Wort zum Sonntag #39

Thema heute:
Der göttliche Diktator

Wer hat noch nicht davon gehört, von all den Diktaturen, die sich im Laufe der Menschheitsgeschichte etabliert haben und (zum großen Teil) auch wieder zerfallen sind: das 3. Reich, der Stalinismus, die Franco-Diktatur, die Pinochet-Diktatur oder, aktuell noch bestehend, der angeblich in seinem Sohn reinkarnierte Kim Il-Sung in Nordkorea.

All diese Regime kennzeichnet eine extreme Verfolgung andersdenkender. Andersdenken ist nicht erwünscht, stellte dies doch die Autorität und Entscheidungen des Diktators in Frage. Wird der Diktator in Frage gestellt, so ergeben sich ganz natürlich berechtigte Zweifel an dessen Führerschaft. Insofern leisten sich solche Diktaturen i.d.R. einen Ausgedehnten Überwachungsapparat, der jeglichen Protest möglichst im Keim zu ersticken sucht, wie man dies von der GESTAPO bei den Nazis oder der STASI in der DDR kennt.

Die nächste Qualität dieser Präventivmaßnahme stellte George Orwell in "1984" vor. Nicht ein sich formierender Widerstand wird zerschlagen, sondern man packt das Übel an der Wurzel und bekämpft bereits die Gedanken an einen solchen. Das Ausmerzen der "Gedankenverbrechen" als ultimativen Erstschlag gegen jegliches Abweichen von der Norm, jegliches ausscheren aus dem völkischen Verband. Und man kann sicher sein, wenn solche Möglichkeiten in einer der o.g. Diktaturen existiert hätten, sie wären angewendet worden.

Doch ist diese Idee nicht wirklich neu, steht doch schon in Mt 5,28

Ich aber sage euch: Wer eine Frau ansieht, sie zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen.
Nachdem es lt. Bibel bereits Sünde ist, gedanklich etwas durchzuspielen, z.B. das Haus seines nächsten gedanklich zu begehren, wie es in den 10 Geboten steht oder die Frau, wie es JC exlizit herausstellt, bestraft Gott offensichtlich eben diese Art von Gedankenverbrechen. Somit unterwirft sich der Gläubige einer 24/7/365, also eines ganzjährlichen Screenings seiner Gedanken 24 Stunden am Tag. All dies wird natürlich feinsäuberlich notiert und einem dann beim jüngsten Gericht unter die Nase gehalten, was in etwa so aussehen könnte: "Mit 12 Jahren: Lehrerin lüstern angeschaut - Ab in die Hölle!". Denn interessanterweise stürzen sich speziell Religionen auf Ge- und Verbote, die von den Betroffenen kaum oder nur unter größter Anstrengung einzuhalten sind, d.h. die Verfehlung ist in der Anlage des Gebots schon vorprogrammiert (speziell die auf Sexualität abzielenden Restriktionen sind so ein Fall).

Jetzt kann ich natürlich nur von mir sprechen, aber ich vermute auch der Großteil meiner Leser wird sich nicht wünschen in einem STASI-Staat leben zu müssen, schon gar nicht, wenn der oberste Staatssicherheitsbeamte eine direkte Verbindung zum Gehirn des Betroffenen hat und lächerliche Gedanken wie "ich finde meinen Nachbarn geil" (Frauen und Gays sind schließlich gleichermaßen betroffen!) sanktioniert.

Die bei weitem spannendere Frage ist jedoch, wieso so viele Menschen sich dieser göttlichen Diktatur unterwerfen wollen. Und auch hier zeigen sich ganz offenkundig dieselben Parallelen wie bei menschgemachten Diktaturen. In Japan wurde Hiro Hito als Gottkaiser verehrt, doch anstatt dass seine Bevölkerung ihn nach dem verlorenen Krieg zum Teufel gejagt hätte (Götter die Kriege verlieren gehen meist unter), war die "Liebe", oder wahrscheinlich besser Hörigkeit, seiner Untertanen so groß, dass die US-Streitkräfte nicht wagten ihn vor ein Kriegsgericht zu stellen. In Nordkorea war es wirklich ein Tag der Trauer, als der Vater des durchgeknallten Sohnemanns Kim Jong-Il (überraschend) starb. Das nordkoreanische Volk heuchelte nicht Trauer, es trauerte wirklich, weil das Subjekt seiner "Liebe" (bzw. Hörigkeit) verschieden war.

Gleiches ist in Religionen zu beobachten, wo trotz Naturkatastrophen, Krankheiten und natürlichem Kindstod ständig behauptet wird, dass dieser ewige Überwacher einen doch zutiefst lieb habe, dass der Gläubige seiner Liebe bedarf (mehr als seines Verstandes offensichtlich). Alles Leid wird dann irgendwie zum Zeichen seiner allumfassenden Liebe umgemünzt. Nur mit diesem theologischen Doppeldenk kann man sich überhaupt vorstellen, dass sich jemand wünscht unter einer unsichtbaren Überwachungskamera bzw. göttlichen Käseglocke zu leben.

Doch letztendlich stellen sich als Nutznießer dieser Vollzeitüberwachung auch wieder die irdischen Vertreter der himmlischen Mächte heraus. Hat doch z.B. die Catholica - wie praktisch - die Beichte erfunden, mit der jegliche Art von Verbrechen dem Priester mitgeteilt werden können (und die von diesem dann wiederum zur Stärkung seiner Position verwendet werden können, denn Wissen ist schließlich Macht). Doch auch ohne dieses Instrument beschert der geglaubte Big Brother eine Gemeinschaft von Gewissensbisslern, von furchtsamen Sündern, von obrigkeitshörigen Duckmäusern, kurz, eine Haltung, die sich mit Humanismus oder dem aufgeklärten Menschen nicht vereinbaren lässt und in der Konsequez einer göttlichen Unterwerfung, die Unterwerfung unter irdische Machthaber nicht nur plausibel, sondern auch höchst wahrscheinlich macht.

Gott ist das einzige Wesen, das, um zu herrschen, nicht selbst zu existieren braucht. (Charles Baudelaire)

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Bei der NVA, deren Mitglied zu sein ich 1988 die zweifelhafte Ehre hatte, gab es ein striktes Verbot des Genusses von Alkohol, was dazu führte, daß nicht etwa weniger, sondern ganz im Gegenteil exzessiv mehr getrunken wurde. Die dahinterstehende Überlegung war: „Wenn ich jetzt ein Bier trinke und erwischt werde, werde ich bestraft. Wenn ich schon bestraft werde, dann soll’s sich wenigstens gelohnt haben.“ Ergo hat man nicht eine Flasche Bier in die Kaserne eingeschmuggelt, sondern zwei Flaschen Korn.
So ähnlich sind die moralischen Konsequenzen die sich aus dem Begehrverbot ergeben. Wenn es denn schon böse böse und höllenstrafenwürdig ist, meines Nächsten Weib auch nur zu begehren, kann ich Sie doch auch gleich flachlegen. Dann hat’s sich wenigstens gelohnt.
Und, ich habe in der Hölle was zu erzählen, ganz im Gegensatz zu den Idioten, die zwar begehrt aber nicht gefickt haben. :)))

Po8 hat gesagt…

Stimmt. Das ist ja auch der Grund warum alle Religionen genau das verbieten, was zwangsläufig so oder so übertreten werden wird - und das hat i.d.R. immer was mit Sex zu tun. Aus den Verboten (und Übertretungen) folgen Schuldgefühle, Beichte, Buße und der ganze andere Kokolores, den man sich zur Knechtung der Mitmenschen ausgedacht hat...

PS: Ich war so frei und habe einen der Doppelposts enfernt ;-)