Mittwoch, September 08, 2021

It's the faith, stupid!

 "Afghanistan Banana Stand" - als Zitat im Film "Vier schräge Vögel" traf ich vor über 35 Jahren das erste mal auf das Land am Hindukusch, wurde es dort doch als Hypnonse-Trigger verwendet, mit dem irgendetwas aus einer Bank geraubt werden soll. Es war schon sehr schräg, was aber auch wieder zu den vier Vögeln (verkörpert von Robert Redford, George Segal, Ron Leibman und Paul Sand) passt. Das nächste mal bewusst, zog Rambo 1988 in Afghanistan in den Krieg gegen die Russen (gegen wen denn sonst im Angesicht des kalten Krieges?) und kämpfte natürlich mit den Mudschaheddin gegen die Rote Armee, die sich im realen Leben dort ganz schön übernommen hatte und bereits auf dem Rückzug befand.

Das nächste mal drängelte sich das Land nach 9/11 in den Fokus der Weltöffentlichkeit, nachdem die dortigen Terroristenschmieden für die Anschläge auf das World Trade Center verantwortlich gemacht wurden und der dümmere George Bush den Nato-Bündnisfall ausrief, um in Afghanistan eizufallen. Es dauerte dann noch einmal 10 Jahre, bis man den Drahtzieher der Anschläge endlich um die Ecke brachte - Bush war schon kein Präsident mehr, Obama war es.

Damals vor 20 Jahren waren anscheinend Teile des deutschen Militärs und Teile der deutschen Politik kriegsgeil genug, um den Verteidigungsminister (!) - damals Peter Struck - sagen zu lassen, dass die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland auch am Hindukusch verteidigt werde. Ungefähr so wie Amerikas Sicherheit ein paar Jahrzehnte früher auch in Vietnam und Korea verteidigt wurde.

Und jetzt bastelt die Nato 20 Jahre lang in Afghanistan an einer Demokratie, deren Haltbarkeit nach Abzug der Truppen eine Halbwertszeit von gefühlten 5 Minuten hatte. Nach - ebenfalls gefühlten - Kosten zwischen 12,5 Mrd. € (imho viel zu niedrig) und 47 Mrd. € (imho realistisch) hat man vor Ort quasi nichts erreicht, außer einem Abenteuerurlaub für die Truppe in Grün und viel zu vielen Toten auf allen Seiten.

Ein Kardinalsfehler aus meiner Sicht war, dass "die Religion" stets kein Thema war. Wie denn auch, bei gottesfürchtigen Amerikanern und deutschen Soldaten, die selbst mit Militärpfaffen angetanzt sind? Das Land ist zu 99,9% muslimisch, 80% Sunniten, 20% Schiiten - was will man da erwarten, außer dass Allahs Wille geschehe? Wie heißt es im Englischen so schön, "the squeaky wheel gets the grease", also die, die am lautesten schreien, werden als erstes berücksichtigt - und das sind in der Regel die Extremisten und Fundamentalisten.

Insofern wundert es wenig, dass man die Taliban in der Zeit nie losgeworden ist, weil man es versäumt hat, von Anfang an auf einen säkularen Staat zu setzen, in dem Religion quasi keine Rolle spielt bzw. keine Rolle spielen darf. Durch geeignete Rechtsstaatlichkeit und entsprechende Gesetze ließe sich die staatliche Gottlosigkeit so manifestieren, dass nicht gleich wieder jede dahergelaufene Sekte wie die Bundesbahn, die Taliban oder der IS mit religiöser Verbrämung die Macht übernehmen kann.

20 Jahre, das ist fast eine Generation. Im dritten Reich haben 12 Jahre gereicht um die jungen Leute zu Nazis umzubürsten - wieso hat man die viele Zeit nicht besser genutzt? Und ja, wir müssen auch über Kulturen reden. Eine Kultur, in der Mann und Frau nicht gleichberechtigt sind, ist aus ethischer Sicht schlicht minderwertiger als eine, in der das der Fall ist. Egal wie sehr die beteiligten Frauen auch beteuern, dass sie sich freiwillig unterwerfen und steinigen lassen und das sie es toll finden, wenn ihr Mann noch 3 zusätzliche Frauen ehelicht, hat man dann doch drei permanente Freundinnen zu Hause und ein Vierer im Bett birgt auch jede Menge Abwechslung. Das mag vieles sein, nur nicht gleichberechtigt.

Die Staaten in der ersten Welt funktionieren nur dann gut, wenn Religion von Anfang an keine starke Position einnehmen durfte (wie in den USA auf Grund der ganzen Fundamentalisten, die dorthin auswanderten - da gönnte keiner keinem etwas) oder in dem die Staaten über die Zeit immer säkularer wurden. Aktuell erleben wir jedoch auch in diesen Staaten das vereinende Moment in Bezug auf die Religion der Klimakrise. Wenn alles dem Klima untergeordnet werden muss, dann sind damit Repressalien und Barbareien Tür und Tor geöffnet - wenn nicht ein starker Rechtsstaat dagegen halten kann. Und diesen gibt es in Afghanistan nicht.

Erschwerend kommt noch dazu, dass viele Länder, v.a. im Nahen Osten, in "Stämmen" organisiert sind. D.h. die Nationalstaatlichkeit ist nicht besonders ausgeprägt. Somit verteidigt auch kein Soldat wirklich sein Land oder seine Leute - je nachdem wo er in Afghanistan stationiert ist, verteidigt er ihm komplett Fremde deren Sprache er nicht versteht (s.u. das Bild der Sprachregionen Afghanistans aus Wikipedia)

Das Land, die Sprache, die Nation eint nicht, aber die Religion tut es. Da verwundert es wendig, dass bis auf ein paar "Kriegsgewinnler" (die sich den westlichen Bündnissen z.B. als Übersetzer angebiedert haben) niemand ein Interesse an einem besetzten Land hat und zum Teil sogar die "Befreiung von den westlichen Werten" durch die Taliban begrüßte. Denn auch hier gilt das obige englische Zitat, nur das quietschende Rad wird geölt - was aber nach dem Abzug in umgekehrter Weise die genannten Kriegsgewinnler und die wenigen Utopisten, die wirklich an Demokratie geglaubt haben, sind. Und schon haben wir wieder ein "Flüchtlingsskandälchen", welches die AfD auszunutzen sucht.

Wer jedoch einem Land wie Afghanistan helfen will, muss eine Agenda haben. Schröder hatte eine - aber nur für Deutschland - die auf unabsehbare Zeit mit dem Namen des VW Personalvorstands Peter Hartz verbunden sein wird, noch bevor er sich in die Veruntreuung von Firmengeldern verstrickte. Die Afghanistan Agenda muss aber zwingend folgende Punkte enthalten:
  • Wohlstand
  • Bildung
  • freiheitlicher säkularer Rechtsstaat
Alles andere findet sich dann von ganz alleine. Leuten denen es gut geht, tendieren dazu weniger radikal zu sein - sie haben etwas zu verlieren. Leute die besser ausgebildet sind, bekommen bessere Jobs und haben auch die Chance einmal über den Tellerrand hinaus oder um das Brett vor ihrem Kopf herum zu schauen. Und zu guter Letzt ein Staat dem gegenüber man seine Rechte einklagen kann und der einen - im Gegensatz zu den Taliban - auch in Ruhe lässt, also seine wohlverdiente Freiheit gönnt.

Ich frage mich nur, wie viele Afghanistans, Syriens, Ägyptens, Libyens und Iraks es noch braucht, bis auch der letzte Staatenlenker begriffen hat, dass 1) Religion immer ein Thema ist, meistens auch das Hauptthema und 2) in fremden Ländern ein bisschen Krieg zu spielen immer schon eine dämliche Idee war und ist.

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