Sonntag, Juni 27, 2021

Neulich bei der Tugend...

"Quam difficilis est virtutis diuturna simulatio!" - Cicero

(Wie schwierig ist doch das ständige Vortäuschen von Tugend!)


Das Streben nach "Tugendhaftigkeit" ist wahrscheinlich so alt, wie die Menschheit selbst. Sobald wir soziale Strukturen beobachten, wird verhalten in "gut" oder tugendhaft und "böse" eingeteilt. Ganze Religionen basieren auf dieser Art von Dichotomie, die größtenteils aus Binsenweisheiten besteht.

Die berühmten 10 Gebote lassen sich auf "sei tugendhaft und bring keinen um" zusammendampfen. Die darin enthaltene Ächtung z.B. von Diebstahl ist bei genauerer Betrachtung ein no-brainer. Es lässt sich keine Gruppe auf der Basis stabilisieren, dass jeder jedem alles wegnehmen kann.

Gottesfurcht (über den dahinterliegenden Frame, dass Gott gut sei und wenn man diesen fürchte und nach dessen Regeln lebte, wäre man eben auch gut) war über Jahrhunderte eine Tugend. Man konnte diese gleich morgens beim ersten Gebet unter Beweis stellen und ging abends mit dem Nachtgebet tugendhaft zu Bett.

Sex hingegen war schon immer etwas schmutziges - nicht umsonst sind jungfräuliche Bräute der feuchte Traum vieler Männer und diese Wahnidee manifestiert sich auch in vielen Schriften. Wer Sex mit sich selbst oder anderen hat ist unrein, unkeusch, lasterhaft oder untugendhaft. Nichtsdestotrotz haben sich unsere Vorfahren davon nicht abschrecken lassen, sonst könnte weder ich diesen Beitrag schreiben, noch Sie diesen lesen. 😋

Es ist der Aufklärung zu verdanken, dass wir heute Dinge anders sehen. Wir werden immer areligiöser, weil das alte Gesülze keine vernünftigen Antworten auf die aktuellen Fragen bietet und bei Licht betrachtet sich keiner der Götter ausreichend außerhalb der Hirne von Gläubigen manifestiert, als dass man diesen als Hypothese gelten lassen könne. Weiters haben wir die "sexuelle Revolution" im 20. Jhd. hinter uns, die sexuelle Handlungen aus der Schmuddelecke geholt, den Menschen mehr Freiheit gegeben und den Weg für gleichgeschlechtliche Beziehungen geebnet hat.

Alles gut, könnte man meinen. Leider nicht. Da die oben geschilderten Mechanismen weiter greifen und wir in unserem sozialen Umfeld weiterhin als tugendhaft, als "guter Mensch" gelten wollen, muss man sich jetzt andere Kanäle suchen, als Enthaltsamkeit oder ständiges Beten - das wirkt leider nicht mehr. Die Möglichkeiten sind heute vielfältig. Es engagiert sich ungefähr jeder Vierte ehrenamtlich, man kann Geld an gemeinnützige Organisationen spenden oder die Patenschaft für ein Kind in einem ärmeren Land übernehmen. Doch um diese Geschichten geht es mir heute nicht, es geht mir um das "virtue signalling" (VS), also die Erweckung des Anscheins von Tugendhaftigkeit - und warum dies so fatal für die Gesellschaft ist.

Wir erleben heute eine Vielzahl von VS in fast allen Bereichen unseres Lebens. Schlagworte hierzu sind Umwelt, Nachhaltigkeit, fair-trade, Respekt, Parität, gendergerechte Sprache, Gleichstellung, Toleranz, Antidiskriminierung, Fremdenfreundlichkeit usw.usf.. Das Grundprinzip ist das eingangs beschriebene, nämlich eine Dichotomie herzustellen, zwischen dem eigenen (tugendhaften) Verhalten und dem der anderen - und unterschwellig die anderen mittels der VS-Keule zur Tugendhaftigkeit zu prügeln. Betrachtet man die Themenkomplexe aber genauer, so ist (fast) nirgends ein derartiges schwarz-weiß-Denken herzustellen. Themen wie Umwelt oder Gleichberechtigung sind enorm komplex und es gibt i.d.R. immer mehr als zwei Sichtweisen.

Nehmen wir z.B. das Thema CO2-Kompensation. An sich ist die Idee schon dämlich, seinen überschüssigen CO2-Ausstoß durch eine unkorrelierte Handlung kompensieren zu wollen. Wenn man von Hamburg nach München fliegt, dann hat das nichts damit zu tun, dass für einen 20 Euro höheren Ticketpreis jetzt 5 Bäume in Ghana gepflanzt werden. Wenn es gut ist 5 Bäume zu pflanzen, sollte man das tun, egal ob jemand fliegt oder nicht und wenn das Fliegen schlecht ist, dann sollte man es lassen. Der Ticketkäufer (der evtl. noch "Flugscham" einräumt") signalisiert aber mit den 20 Euro Kompensation, dass er ein "guter Mensch" ist, der an die Umwelt denkt und nachhaltig handelt. Folglich (aber unterschwellig) muss ein Ticketkäufer, der das nicht tut, ein böser Mensch und eine Umweltsau sein.

Das gleiche Prinzip ergibt sich bei der "gendergerechten Sprache", einem Hochschulkonstrukt das stetig behauptet es müssten irgendwie alle sprachlich berücksichtigt werden indem an allen möglichen und unmöglichen Stellen sinnfreie Sonderzeichen eingefügt werden. Damit es nicht den Anschein erweckt, man wolle anderen seine Meinung aufoktroyieren, ist dies stetig verbunden mit dem Nachsatz, dass Gendern ja absolut freiwillig sei. Es ist aber das gleiche Prinzip. Wenn ich gendere, zeige ich, dass ich ein guter Mensch, also tugendhaft, bin, weil mir die nicht genannten Minderheiten  am Herzen liegen und ich mich für sie sprachlich verrenke. Implizit schwingt aber mit, dass wer dies nicht mache ein ignorantes Arschloch sei.

Und um meine Beispiele noch abzuschließen, sei letztendlich auch die religiöse Symbolik erwähnt, hier vor allem - weil offensichtlich - das Kopftuch. Obwohl es im Koran keine explizite Verpflichtung zum Tragen eines Kopftuchs gibt, signalisiert die Trägerin doch damit ihre ausgeprägte Gottesfurcht und dass sie eine tugendhafte Muslima sei. Indirekt signalisiert sie aber auch den liberaleren Muslimas, was diese doch für Schlampen vor dem Herrn sein müssen, wenn sie noch nicht mal anständig ihr Haupt bedecken können.

Die Liste ließe sich noch lange fortführen, Jute-statt-Plastiktüten, Ökostrom, Elektroautos, Veganismus, Fridays for Future, Antifa etc.etc..

Die Welt in gut und böse einzuteilen, hat uns meist nur in Krieg, Zerstörung und Diktaturen geführt. Deswegen ist VS auch ein Schritt in die falsche Richtung, da es zur Spaltung der Gesellschaft führt, zur Ablehnung und Ausgrenzung Andersdenkender. Nicht das Argument, nicht die Tat zählt, sondern das Signal der Tat. Und das geht über die heutigen social media Kanäle sehr einfach. Abends auf der Couch noch schnell einen gegenderten Tweet raushauen und mit dem guten Gefühl ins Bett gehen, dass man die Welt ein klein wenig besser gemacht hat. Die Allianzarena in Regenbogenfarben erstrahlen zu lassen - als Zeichen für homosexuelle Beziehungen - unterstreicht Münchens Ruf der "Weltstadt mit Herz" - obwohl es nur Gratismut erfordert, wohingegen sich wirtschaftlich und politisch gegen viele Länder im Nahen Osten zu stellen, in denen Homosexualität noch immer unter (Todes)Strafe steht, mal ein wirkliches und kostenintensives Zeichen setzen würde - ein faktisches Zeichen von Tugend und den Kampf für Gerechtigkeit, das nachahmenswert wäre. 😑

"Eines der traurigsten Dinge im Leben ist, dass ein Mensch viele gute Taten tun muss, um zu beweisen, dass er tüchtig ist, aber nur einen Fehler zu begehen braucht, um zu beweisen, dass er nichts taugt."
- George Bernhard Shaw - 


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