Wie unterscheidet man Islamisten von gemäßigten Muslimen?
Geert Wilders, ein holländischer Politiker, hat einen Film veröffentlicht, der den Namen "Fitna" (arab. f. "Chaos") trägt und den islamischen Terrorismus in Verbindung zu den jeweiligen Suren und Versen im Koran setzt. Den Video gibt es hier zu sehen, liveleak hatte ihn zunächst wegen Morddrohungen, später wegen Copyrightverletzungen Wilders' von der Plattform entfernt. Einen der wenigen guten Artikel zu dem Film und vor allem zu dem, was mit ihm erreicht werden sollte hat Henryk M. Broder geschrieben:
Wilders ist so "einseitig" wie jeder Dokumentarist, der die Wirklichkeit verdichtet. Sein Film ist so "islamfeindlich" wie die Filme von Michael Moore "kapitalismusfeindlich" sind. Die Feindschaft liegt nicht im Auge des Betrachters, sondern in der Natur des betrachteten Gegenstands. Zu den festen Ritualen, mit denen Sprecher der muslimischen Gemeinden auf die Feststellung reagieren, der Islam sei nicht unbedingt und nicht immer eine Religion des Friedens, gehört die Androhung von Gewalt, falls diese "Beleidigung" nicht zurückgenommen werde - egal ob es sich um den Papst, einen Politiker oder einen Poeten handelt.Doch soll es heute hier nicht um den Film gehen, sondern um die Reaktion darauf bzw. den Standardspruch, dass man ja den Terror und die Gewalt von Islamisten erkenne, gemäßigte Muslime aber doch friedlich seien und man nicht alle undifferenziert in einen Topf werfen dürfe.
Ich möchte - obwohl im Titel aus Provokationsgründen anders dargestellt - dies eigentlich auf alle Religionsgemeinschaften erweitern, denn wie bei politischen Parteien gibt es immer einen gewissen Anteil von Mitgliedern, die radikaler sind als andere. So teilte man z.B. lange Zeit die Gründen in "Fundis" und "Realos" ein, die SPD hat ein linkes Spektrum, die CDU ein rechtes usw..
Doch wenn man schon so eine Einteilung innerhalb einer Gruppe vornimmt, so sollte man auch Kriterien nennen können, anhand derer sich diese Untergruppen unterscheiden lassen. Somit stellt sich die Frage ab welchem Zeitpunkt ein Gläubiger (z.B. Muslim) der Gruppe der "Fanatiker" (Islamisten) zu zuordnen ist. Die nächste Frage ist, ob wir diese Einteilung im Vorhinein vornehmen können und letztlich welche Tendenz innerhalb des Systems zu erwarten ist.
Bei näherer Beschäftigung mit dem Islam zeigt sich sehr schnell in Bezug auf obige Fragen, dass sich "gemäßigte Muslime" von ihren fanatischen Brüdern v.a. dadurch unterscheiden, dass sie sich oft unislamisch verhalten. So achten z.B. gemäßigte Muslime in .de viele der Menschenrechte, obwohl diese der Sharia diametral entgegenstehen. Man könnte somit folgende Faustformel aufstellen, dass je "unislamischer" ein Mensch ist, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass er der Gruppe der radikalen Gläubigen angehört. Somit wird den gemäßigten Muslimen seitens der Islamisten zurecht vorgeworfen, zu wenig "muslimisch" zu sein.
Kann nun aber im Vorhinein beurteilt werden, wer ein potentieller Islamist ist? Ich denke nein, denn selbst wenn jemand als gemäßigter Gläubiger seine Glaubenskarriere beginnt, so birgt diese immer die Gefahr den Gläubigen zu radikalisieren. Umgekehrt besteht natürlich genauso die Möglichkeit, dass ein radikalisierter Gläubiger wieder vom Glauben abfällt. Letztendlich kann man a priori nur sagen, dass die Islamisten eine echte Teilmenge der muslimischen Glaubensgemeinschaft (auf die starke Diversifikation will ich hier mal nicht eingehen - die größte homogene Gruppe hat 12 Millionen Mitglieder) darstellen. Somit gilt: Jeder Islamist ist ein Muslim aber nicht jeder Muslim ist ein Islamist. In ähnlicher Weise verhielt es sich im dritten Reich: nicht alle Mitglieder der NSDAP waren Kriegsverbrecher, aber alle Kriegsverbrecher Mitglieder der NSDAP.
Und letztlich noch die Frage, welche Tendenz innerhalb des Systems zu erwarten ist. Nun, wenn man andere Glaubensrichtungen wie z.B. die Catholica betrachtet, so unterliegen die Strömungen zwei Faktoren, zum einen dem allgemeinen Zeitgeist (so schwammig dieser Begriff auch ist) und zum anderen der Macht innerhalb des politischen Systems. Im Mittelalter, als die Macht der katholischen Kirche groß war und durch jahrhundertelange Verdummung der Zeitgeist ebenfalls "katholisch", hat sie mit Inquisition, Kreuzzügen und Verfolgungen Andersgläubiger eine ihrer hässlichsten Fratzen gezeigt. Als der "Zeitgeist" in der Renaissance wieder humanistisches Gedankengut der Antike aufgriff, erfolgten die ersten faktischen Anpassungen, das System blieb aber vom Prinzip her das gleiche (und ist es heute noch!). D.h. sollten Machtposition und Zeitgeist es wieder erlauben, so fällt auch die katholische Kirche wieder in die mittelalterliche Barbarei zurück - wie z.B. in Kroatien unter Pavelic geschehen.
Ähnlich verhält es sich mit dem Islam. Dort wo er politisch und aus der Sicht des Zeitgeistes schwach ist (wie z.B. in Westeuropa), halten sich seine Auswirkungen in Grenzen, selbst radikalere Gläubige tolerieren den einen oder anderen aufklärerischen Wert (z.B. Gleichberechtigung von Mann und Frau). In islamischen Ländern, mit einer starken politischen Macht des Islams, verbunden mit einem starken islamischen Zeitgeist, beobachtet man eine Stagnation in bezug auf Aufklräung, Humanismus und freiheitlichem Denken.
Insofern bin ich der Meinung, dass "man" Islamisten (oder radikalisierte Gläubige) nicht von gemäßigten Gläubigen unterscheiden kann. Dies hat zur Folge, dass die einzigen, die solche Leute erkennen könn(t)en, die Mitglieder der jeweiligen Gruppe sind. Solange diesen Gemäßigten aber nicht bewusst ist, dass sie durch ihre eigene Handlungsunfähig oder -willigkeit eben diesen Elementen, die nicht nur anderen Weltanschauungsgemeinschaften schaden wollen sondern in nächster Konsequenz auch die eigene miskreditieren, ein Biotop, einen sicheren Hafen bieten, aus welchem diese geschützt und unbehelligt agieren können, solange hat "man" gegen Islamisten bzw. radikale Gläubige keine Chance.
Die Hand, welches das Schwert führt und würget, ist nicht mehr Menschen Hand, sondern Gottes Hand, und nicht der Mensch, sondern Gott hänget, rädert, enthauptet, würget, krieget.
(Martin Luther)
2 Kommentare:
Jede Religion kann radikalisiert (gelebt) werden - absolut ja.
Und es sind gerade die jeweilige Gesellschaft und die machthabenden Gruppen, die sich aus dem "Pool" der vorhandenen religiösen Werte und Rituale diejenigen heraussuchen und verstärken, die wiederum ihre Position stärken bzw. den Status Quo erhalten. Nicht umsonst gibt es in auch in jeder Glaubensgemeinschaft öffentlich geführte Diskussionen über die "wahren" Dokumente, die "echten" Grundlagen der Religion.
Dass die Mäßigkeit immer auch in Fundamentalismus umschlagen kann - auch absulut ja. Den Gedanken mit dem sicheren Hafen, den gemäßigte Anhänger potentiellen Fundamentalisten bieten, finde ich außerordentlich interessant und würde das auch auf andere Wertediskussionen übertragen, z.B.: meine Frau kann natürlich arbeiten, wenn sie will und wenn SIE Familie und Beruf vereinbaren kann - auch das ein sicherer Hafen für die Erhaltung männlich dominierter Berufe - zumindest eine Anlegestelle;-)
Dennoch kann ich der Schlussfolgerung nicht so ganz folgen, dass man deshalb die Gemäßigten nicht von den Fundamentalisten unterscheiden kann. Weil der Übergang fließend und zeitlich nicht konstant ist? Nenn mir einen Lebensbereich, der ohne Grauzonen auskommt. Lebensbereich, nicht intellektuelles Gedankengut. Zumindest was die Handlungsebene angeht, plädiere ich für mehr Pragmatismus. Ich würde eine Unterscheidung zwischen gemäßigten und radikalen Anhängern einer Glaubensgemeinschaft z.B. daran festmachen, wie sie andere versuchen zu beeinflussen, nach ihren Regeln zu leben (Einfluss, ressourcengebundene Machtausübung, Zwang?), oder, weniger individuell als gesellschaftlich gesehen daran, wie sehr staatliche Instanzen sich in ihrer Gewaltausübung auf religiöse Doktrinen beziehen. Sowohl inhaltlich (z.B. Gerichte auf die sharia) als auch verwaltungstechnisch (z.B. Abwicklung der Kirchensteuer über das Finanzamt).
Rein intellektuell stimme ich zu, dass eine Grad-Unterscheidung keine absolute Differenz ergibt, pragmatisch denke ich, wir würden uns Chancen der Beeinflussung nehmen, wenn wir uns in unseren Handlungen und Beziehungen nicht in die Grauzone begeben.
Was sollen wir denn mit den Gemäßigten anfangen, wenn das alles potentielle Radikale sind? Ignorieren? Abgrenzen? Zur Achse des Bösen ordnen? Abgrenzung von außen eint und radikalisiert auch.
Das ist es, was ich Deinen Gedanken hinzufügen will. Und um die zugegeben etwas schiefe Parallele (hah, gibt es nicht, wirst Du vielleicht sagen - aber es ist eben auch kein Kreuz) fortzuführen: ich vereinbare weiterhin Beruf und Familie und übernehme darin etwas mehr als die Hälfte der Last - und bin Feministin, in Bayern sogar radikale;-)
@Astrid
Du hast genau erkannt, worauf ich hinauswill. Man kann eine derartige Gruppe nicht ohne intensive Untersuchung von außen "erforschen" und dann einteilen, in das, was man radikal und was man gemäßigt zu nennen beliebt. Es kann z.B. nur jeder Muslim für sich sagen, dass er den Menschenrechten Vorrang vor der Sharia einräumt. Nur darf man ihn dann noch als Muslim bezeichnen? Würden andere Muslime ihn noch als Muslim anerkennen?
Es besteht immer ein Problem wenn "religiöse Werte" und profane aufeinandertreffen. Gleiches gilt natürlich auch für andere gesellschaftliche Konventionen wie die, die Du beschrieben hast. Deswegen müssen wir diese fortwährend der Kritik aussetzen. Kritik ist aber etwas, was speziell religiöse Glaubenssysteme nicht zulassen, weder von gemäßigter noch von radikaler Seite.
Insofern bleibt letztendlich nur das übrig, was ich schon immer sage, Religion muss Privatsache werden und hat, so sie öffentlich etwas aussagen will, sich eben auch der Kritik zu stellen.
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