Letzten Samstag beging ich den Fehler mein Glück für eine Reise zum Chiemsee (Entfernung ca. 90 km) bei der Deutschen Bahn zu suchen. Für den Ticketkauf installierte ich mir die App, die 21,50 € für die einfache Fahrt konnte man auch per Kreditkarte in der App bezahlen - so far, so good.
Die Zubringer-S-Bahn zum Münchner Ostbahnhof hatte schon 5 Minuten Verspätung, der Anschluss war aber nicht gefährdet, da hier 12 Minuten einkalkuliert waren. Es sollte jedoch ein Omen dafür sein, was mich noch erwartete. Der elektronische Zuganzeiger teilte mir mit, dass mein Zug ausfällt. Ich prüfte die Bahn-App - dort fuhr er noch. Also begab ich mich auf den Bahnsteig, um endlich Gewissheit zu erlangen:
Laut App fuhr der nächste Zug eine Stunde später. In den sauren Apfel beißend, beschloss ich die Wartezeit in Kauf zu nehmen und schlenderte durch den Ostbahnhof. Um 11.30 Uhr war der Zuganzeiger soweit fortgeschritten, dass er den 12.04 Uhr Zug anzeigte - die Anzeige war nicht erfreulich...
"Zug fällt heute aus" - als wäre es das selbstverständlichste von der Welt, wenn der 11.04 Uhr Zug schon ausfällt, dass der nächste auch ausfällt. Die Bahn-App stellte sich weiter dumm und war felsenfest der Meinung dass der Zug fahre. Ich beschloss meine Chiemseeträume aufzugeben und mich auf den Heimweg zu machen, aber nicht ohne im DB-Reisezentrum noch mal meinem Ärger Luft zu machen.
Ich fragte den Herrn am Schalter, ob die Deutsche Bahn heute überhaupt noch die Absicht habe, an den Chiemsee zu fahren. Darauf entgegnete er mir in einer stoischen Ruhe, die man wohl nur durch jahrelange Arbeit im DB-Reisezentrum entwickeln kann, dass ich doch die Bayrische Regiobahn (BRB) nehmen könne, die um 11:50 Uhr abfahre, ich müsse allerdings in Rosenheim umsteigen. Seltsam, dass mir die Bahn-App diese Verbindung gar nicht vorschlug. Man bekommt diese erst zu Gesicht, wenn man "nur schnellste Verbindungen anzeigen" abwählt. Ketzerisch könnte man auch behaupten, dass sie deswegen nicht angezeigt wird, weil es die Konkurrenz ist. Gemessen an einem Zug der gar nicht fährt, weil er ausfällt, ist aber jeder andere Zug eine schnellere Verbindung. Das sollte man mal den IT-Leuten der Bahn-App mitteilen. 😑
Der o.g. BRB Zug bestand aus zwei Teilen. Einer fuhr ab Rosenheim nach Kufstein, die anderen Hälfte ab Rosenheim nach Salzburg. Dumm nur, dass die Bahnsteige bis Rosenheim zu kurz waren und deshalb die eine Hälfte des Zuges bis Rosenheim geschlossen blieb. In der anderen Hälfte durften dementsprechend die Fahrgäste ihre Fahrt in vollen Zügen genießen - ich stand dichtgedrängt 50 Minuten im Gang. 50 Minuten auch deshalb, weil der Zug unterwegs eine Viertelstunde stehenblieb. Anscheinend wurde an den Gleisen geschraubt, so dass die Strecke an einer Stelle nur eingleisig war. Nachdem wir zwei Gegenzüge durchgelassen hatten, ging es weiter.
In Rosenheim sollte um 12:54 Uhr der Zug nach Prien am Chiemsee abfahren. Also hatte ich ca. eine Viertelstunde Aufenthalt. Naja... nicht ganz
Also doch 25 Minuten Wartezeit. Die Bahn-App beschäftigte sich mit sich selbst und zeigte diese natürlich nicht an. Auch hier war anscheinend das Leidenspotential der Fahrgäste noch nicht ausgereizt, denn kurz darauf sah die Anzeige so aus:
Der Zug fuhr dann auch zur Abwechslung mal gegen 13:30 Uhr nach Prien los. Dort angekommen nahm ich mir ein Taxi - übrigens das erste klimatisierte Gefährt an diesem Tag! - und war dann um 14 Uhr dort, wo ich geplant zwei Stunden früher sein wollte. 3,5 h für 90 km, das kann man auch mit einem E-Lastenfahrrad schaffen... 😡
Die Rückfahrt hatte ich für 20:08 Uhr geplant. Am Bahnhof Prien angekommen, sah alles noch ganz gut aus. Keine Verspätung, kein Zugausfall und die Bahn-App hatte auch keine Schmerzen. Doch das sollte sich ändern:
Die Anzeige wies offenbar 5 Minuten Verspätung aus, was sich jetzt auch überraschenderweise mit der Bahn-App deckte. Sollte hier die IT mal ihren Job gemacht haben? Kurz darauf wurde die Anzeige noch durch einen Lauftext ergänzt, dass der Zug in Ostermünchen nicht halten werde, weil dort anscheinend gebaut wird. Das wurde auch noch mal per Lautsprecher wiederholt.
Um 20:15 Uhr prüfte ich noch mal die App (die Anzeige war noch immer gleich und die Durchsage bzgl. Ostermünchen wurde schon 2x wiederholt), die jetzt 25 Minuten Verspätung auswies.
Das Ende vom Lied war, dass der Zug bis 20:44 gar nicht fuhr. Weiter konnte ich das nicht verfolgen, da ich dann in den EC der Österreichischen Bundesbahn (ÖBB) einstieg. Ein Zug der da ist, der pünktlich ist und der dann auch tatsächlich losfuhr - ein seltenes Erlebnis an diesem Samstag.
Zwischen Prien und Rosenheim kam dann noch die Durchsage, dass Leute (wie ich) mit einem Regionalticket oder Deutschlandticket den Zug in Rosenheim verlassen müssten und dort auf den Regionalzug warten, da unser Ticket für die Weiterfahrt nicht gültig sei.
Der Schaffner tat gut daran, mich nach Rosenheim - ich blieb natürlich sitzen, keine 10 Pferde hätten mich aus diesem Zug mehr herausbekommen - nicht zu kontrollieren, da er diese wohl mit seinem Leben oder zumindest einem blauen Auge bezahlt hätte. 🤬
Nach 2 h hatte ich die 90 km zurück dann geschafft.
Fazit - tl;dr
Bahnfahren gehört zu den Basics. Selbst Schwellenländer bekommen das in einer dem Land angemessenen Qualität hin. 5,5 Stunden für 180 km sind in etwa schnelle Fahrradgeschwindigkeit und Deutschland quasi Entwicklungsland. Wenn man schon nicht in der Lage ist, das Verkehrsmittel in der geforderten Qualität zum geplanten Zeitpunkt bereitzustellen, dann sollte man dies zumindest klar kommunizieren und den (verärgerten) Fahrgästen auch Alternativen an die Hand geben. Wenn bei Lufthansa ein Flug ausfällt, dann bemüht sich das Bodenpersonal nach Kräften die gestrandeten Passagiere auf andere Maschinen zu bringen. Und last but not least sollte die Bahn-App, so sie den Namen auch verdient, auch die aktuellen Daten liefern.
Vielleicht sollte sich die Regierung mal auf die Grundversorgung konzentrieren, darauf, dass der Saftladen vernünftig läuft, anstatt permanent die Welt retten zu wollen. 😑
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