Sonntag, Dezember 29, 2019

Das Wort zum Sonntag #69

Thema heute: Abtreibung in Deutschland - Teil 2

Hier geht es zu Teil 1

Im ersten Teil bin ich wenig auf die andere Seite der Medaille eingegangen, also den Embryo, Fötus oder von mir aus auch "werdenden Menschen". Es ist unstrittig, dass nach der Geburt das Baby als vollwertige Person gilt (weswegen u.a. dieses Urteil gesprochen wurde).

Geht man nun gedanklich Tag für Tag zurück, kommt man an einen Punkt, an dem unsere aktuellen medizinischen Kenntnisse nicht ausreichen, den Fötus am Leben zu erhalten. Diese Seite schreibt dazu:
Frühgeburt vor 22 Schwangerschaftswochen
Kinder, die zu dieser Zeit geboren werden, sind nicht lebensfähig. Sie werden entsprechend ihrer Würde im Sterben betreut. In jedem Fall werden die Ärzte dazu angehalten, das vorgeburtlich festgestellte Schwangerschaftsalter mit dem Entwicklungszustand des Kindes zu vergleichen. Bei einer offensichtlichen Abweichung überdenken die Ärzte die vor der Geburt getroffene Entscheidung, keine lebenserhaltenden Maßnahmen zu beginnen.
Aus diesem Sachverhalt sehe ich auch die Verantwortung, dem Fötus einen gewissen Schutz zuzusprechen, aber in keinem Fall die gleichen Rechte, wie die der Frau. Aus Teil 1 wäre mein Vorschlag für eine biologisch/ethische Grenze die 20. Woche (was 8 Wochen mehr Zeit für die Schwangere wären, als ihr nach der aktuellen Regelung zusteht - auch 8 Wochen, sich im Zweifel dafür zu entscheiden).

Bei Licht betrachtet ist es auch so, dass die Mehrzahl der Frauen ihre Schwangerschaft nicht abbrechen will. Im Jahr 2015 wurden 737.575 Babys geboren, demgegenüber standen 99.237 Abbrüche. Diese wiederum teilten sich in 95.338 (Fristenlösung), 3.879 (medizinische Indikation) und 20 (kriminologische Indikation). D.h. auf eine Abtreibung kommen mehr als 7 Frauen, die ihr Kind bekommen wollen. So man davon ausgeht, dass 50% aller Schwangerschaften auf natürlichem Weg vor dem dritten Monat enden, teilweise von den Frauen unbemerkt, so müsste man fairerweise diese mit einbeziehen. D.h. wir haben knapp 1,7 Mio. Schwangerschaften, von denen ca. 100.000 von Frauen willentlich abgebrochen werden. Daraus folgt, dass nur ca. jede 17te Frau sich für eine Abtreibung entscheidet.

Was muss diese 17te Frau jetzt realiter tun?
Sie muss sich einen Beratungsschein besorgen (hier ein Artikel, wie sowas ablaufen kann und wie "ergebnisoffen" das sein kann 😠 - hier ein weiterer Artikel über die perfide Praxis der pro-life Fraktion), ein behördlicher Spießrutenlauf. Die Bayern gehen hier so weit, dass sie den Schein ohne Offenlegung der Gründe verweigern - also quasi die heilige bayrische Inquisition. Also auch noch unterschiedliche Regelungen auf Länderebene - und alles durch Mehrheiten von vornehmlich Männern(!) beschlossen.
Danach muss die Frau noch mal warten, denn Beratung und Eingriff müssen mindestens 3 Tage auseinanderliegen, der Arzt der den Eingriff vornimmt, darf nicht die Beratung vornehmen.

Ich vermisse bei diesen ganzen Regelungen, dass die schwangere Frau, die erwachsene, zu Empfindungen und rationalem Denken fähige Person, in den Mittelpunkt gestellt wird. Ihre Belange sind die wichtigen, nicht die des Fötus, die der Gesellschaft oder irgendwelcher Aktivisten. Die Bedürfnisse werden marginalisiert, während die "Rechte" des Fötus extrapoliert werden. Auf eine Schwangere, die ihr Kind bekommen möchte, wird Rücksicht genommen (z.B. Mutterschutz, Elternjahr etc.), wohingegen die Frau, die ihre persönliche Schwangerschaft abbrechen möchte, (fast schon) kriminalisiert wird. Ist ja auch klar, eine unverheiratete Frau, die Schwanger ist und noch dazu abtreiben will, kann nach gewissen Weltanschauungen ja nichts anderes als eine Schlampe sein...

Wenn man sich jetzt die Frage stellt, warum diese krude Gesetzeslage besteht, dann landet man zum einen im Dritten Reich und zum anderen bei der Kirche. Bei den Nazis stand zum Schluss auf Abtreibung sogar die Todesstrafe - für die Frau! Zur kirchlich-christlichen Herleitung hat Schmidt-Salomon das folgende gesagt (hier):

"Viele Theologen, Bischöfe und Päpste waren zuvor von der alternativen Konzeption der ‚Sukzessivbeseelung‘ ausgegangen, wonach die ‚Seele‘ des Menschen erst am Ende des dritten Schwangerschaftsmonats voll ausgebildet ist, so dass Abtreibungen bis zu diesem Zeitpunkt religiös legitimiert werden konnten. Dann aber verkündete Papst Pius IX im Jahr 1854 das Dogma der 'Unbefleckten Empfängnis Mariens'. Offenkundig litt er in der Folgezeit sehr unter dem Gedanken, dass die angeblich 'sündenfrei' empfangene Gottesmutter jemals 'vernunft- und seelenlose Materie' gewesen sein könnte. Daher erhob Pius IX. im Jahre 1869 zu Ehren der 'Heiligen Jungfrau Maria' die 'Simultanbeseelung' zur verbindlichen 'Glaubenswahrheit' – eine Entscheidung, über die man heute schmunzeln könnte, würde sie nicht noch immer die Gesetze des säkularen Staates bestimmen."
Nach dem 1. Weltkrieg erstritten sich die Frauen Rechte, hierunter fiel auch das Recht auf Selbstbestimmung bei der Abtreibung. Dieses wurde in der Weimarer Republik von der christlichen Zentrumspartei blockiert und unterminiert. Heraus kamen die noch heute bestehenden Paragraphen 218, 219, letzterer wurde kurzzeitig aufgehoben aber im dritten Reich wieder eingesetzt. Nach dem 2. Weltkrieg gab es - zugegebenermaßen - viele dringende Probleme in Deutschland, aber es waren auch in der ersten Dekade die christlich-konservative Adenauerregierung an der Macht - selbstredend, dass das Zurückdrehen von Nazi-Regelungen, v.a. wenn sie mit der eigenen Weltanschauung übereinstimmen, nicht angetastet wurden. Insofern haben wir heute immer noch das Bekenntnis auf der Lohnsteuerkarte, die Steuerklassen, welche die Ehe von Mann & Frau bevorzugt, und eben §218 und §219.

Aus den o.g. Ausführungen halte ich die aktuelle Regelung aus ethischen Gesichtspunkten für minderwertig da unbegründet und würde mir wünschen, dass die Position der Frau in dieser Angelegenheit gestärkt wird. Die maßgeblich betroffene ist die Frau, insofern sollte im Rahmen des Selbstbestimmungsrechts, diese auch die Hoheit über ihren Körper haben. Die Abtreibung bis zur 20. Woche sollte straffrei sein, denn dann könnte man sich auch den verschwurbelten Paragraphen 219(a) sparen. Doch solange durch die Köpfe der Regierung und des Parlaments noch mehrheitlich der christliche Schwachsinn weht, werden wir das nicht beobachten können.

In einem Interview mit pro familia Beraterinnen sagte eine der beiden Interviewten.
„Profamilia hat die ganz klare Einstellung, dass die Schwangerschaftskonfliktberatung nicht ins Strafgesetzbuch gehört, da muss sie ganz eindeutig raus – denn auch wenn die Frau straffrei ausgeht, geht es nicht, dass Schwangerschaftsabbrüche immer noch grundsätzlich unter Strafe stehen. Wir stellen uns ganz entschieden gegen diese Kriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs, weil es die Frauen ganz einfach entmündigt."




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