Wer kennt es nicht, dieses Gefühl gruseligen Schauderns, das einen z.B. bei einem gut gemachten Horrorfilm überfällt. Oder auch bei Filmen wie "Fight Club" oder "Inception", die zum Schluss noch einen schönen Twist in die Geschichte bringen, so dass man das gerade Gesehene noch einmal hinterfragen zu müssen glaubt.
Ein vergleichbarer Grusel befällt einen, wenn man Carsten Frerks Buch "Kirchenrepublik Deutschland - Kirchlicher Lobbyismus" liest. Viele irreale Verschwörungstheorien bzgl. "Lügenpresse" oder ähnlichen, unbegründeten Behauptungen verblassen gegen die real existierende Einflussnahme auf politischer Ebene v.a. durch die beiden Großkirchen. Hatte man diesen (zumindest von meiner Seite) immer schon das Übelste unterstellt, so ist das tatsächliche Ausmaß der Einflussnahme wahrlich angsteinflößend.
Akribisch hat Carsten Frerk hier auf Bundes- und Landesebene all die Fakten zusammengetragen, die letztlich keinen anderen Schluss zulassen, als dass jedes Gesetz, jede Regelung nur dann Erfolg haben kann, wenn es auch das Plazet der beiden Kirchen erhält. Auf Bundes- wie Landesregierungen wird eindrücklich Einfluss genommen, wobei diese Art von Lobbyismus noch nicht einmal offengelegt werden muss. Wen wundert es da noch, dass man sich in Deutschland mit dem selbst bestimmten Sterben so schwer tut, wohingegen Länder wie die Niederlande oder die Schweiz schon vernünftige Regelungen geschaffen haben. Wen wundert es noch, dass die Zahlungen staatlicherseits an die Kirchen nicht eingestellt werden (Forderungen die teilweise 200 Jahre alt sind), wenn doch diejenigen, die diese Zahlungen abstellen könnten mit denjenigen, die dagegen intervenieren zusammen im Beichtstuhl sitzen, Empfänge besuchen, von der Politik in kirchliche Unternehmungen wechseln und umgekehrt - kurz, mich wundert seit der Lektüre nichts mehr. Deutschland ist massiv mit kirchlicher Einflussnahme durchseucht und Carsten Frerks großer Verdienst in dieses Hinsicht ist, dass dies nun schwarz auf weiß veröffentlicht ist.
Vergleichbar minutiös wie in seinen Büchern zum Finanzwesen der Kirchen bzw. deren caritativen Einrichtungen stellt Carsten Frerk auch hier die Verflechtungen zwischen Politik und Kirche dar. Das bedingt - und das ist imho die einzige Schattenseite des Buches - dass die Ausführungen über manche Strecken trocken wirken. Nur ist die Beweisaufnahme in einem Gerichtsprozess, mit dem man das hier durchaus vergleichen könnte, nun auch nicht gerade eine Ausgeburt an sprühender Phantasie und Kurzweil. Es muss halt erst mal (um mit Augstein zu sprechen) "gesagt werden, was ist". Und diese Klüngelei, fast schon Vetternwirtschaft, ist über Jahre gewachsen und kann per se nicht in 5 Sätzen dargestellt werden.
Fazit: Wer keine oder wenig (kirchenkritische) Sachbücher liest, sollte vielleicht eher die Finger davon lassen (und sich eher mal "Kirche im Kopf" zu Gemüte führen). Wer aber die Büchse der Pandora öffnen möchte, wer erfahren möchte, wie stark religiöses Denken die Geschicke der Bundesrepublik prägt, der kommt an diesem Buch nicht wirklich vorbei.
7,5 von 8 möglichen Punkten
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