Donnerstag, November 12, 2020

Das po8ische Lexikon #3 - freie Marktwirtschaft

Neuer Begriff, neues Glück - oder Unglück? Thema heute:

freie Marktwirtschaft

Interessanterweise denken viele, wenn dieser Begriff fällt, an die USA, an zügellosen Kapitalismus, Neoliberalismus, Ausbeutung usw., als könne man alles Schlechte, was es auf der Welt gibt in diesem Begriff unterbringen. Das Gute passt dann eher in die deutsche Variante, die "soziale Marktwirtschaft". Was Wikipedia dazu meint, kann man hier nachlesen.

Mir geht es heute aber um die unterschwellige Unterstellung, in einer "freien Marktwirtschaft" wäre alles erlaubt. So wie manche der Meinung sind, in einer Anarchie herrschte Regellosigkeit, so meinen wahrscheinlich auch viele, wenn Angebot und Nachfrage über den Markt bestimmt werden, dann geschehe scheinbar einfach ein Wunder - the "invisible hand".

Dem ist aber nicht so. Jede soziale Struktur benötigt Regeln, egal ob es sich um einen Kindergarten, die Börse oder den Hamburger Fischmarkt handelt. Regeln sind normalerweise dazu da, wiederkehrende Verhaltensmuster zu beschleunigen. Wenn man z.B. in einen Zeitungskiosk geht, eine Zeitschrift nimmt und den passenden Betrag auf den Tresen legt, so gibt es eine Regel (in dem Fall sogar ein Gesetz), dass diesen Vorgang legitimiert. Gäbe es das nicht, müssten der Kioskbesitzer und der Zeitungskäufer erst mal einen Kaufvertrag zur gegenseitigen Rechtssicherheit aufsetzen. Eine weitere Regel, die noch keine intrinsische Absicht beinhaltet, sondern nur Rechtssicherheit herstellen soll wäre "pacta sunt servandae", also Verträge sind (gefälligst) einzuhalten.
Eine Regel zu etablieren bedeutet aber nicht, den Markt zu regulieren (auch wenn der Wortstamm der gleiche ist). Regulierung bedeutet, etwas nach seinen Ideen zu regeln. Eine Handlungsregel aufzustellen (auf die sich im besten Fall alle Beteiligten freiwillig einigen) muss aber keine Handlungsidee beinhalten. Umgekehrt münden aber Handlungsideen oft in Regeln bzw. Regulierungen des Markts bzw. von Märkten. Oder noch mal anders formuliert, Handlungsregeln zielen darauf ab einen "Markt" oder "das Handeln" zu beschleunigen oder effizienter, rechtssicherer zu machen, während Regulierung auf eine Änderung des Ergebnisses abzielt.

Man kann z.B. von den Menschenrechten, vom Grundgesetz oder dem Strafgesetzbuch ausgehen, um Regeln (auch Verbote) für den Markt festzulegen. Wenn jemanden zu ermorden moralisch verwerflich ist, so kann einen Auftragsmörder zu kaufen kein valides Geschäft sein. Wenn Sklaverei verboten ist, so müssen Menschenhandel oder Zwangsprostitution Ausnahmen sein, für die sich auf dem freien Markt kein Preis bilden darf bzw. soll. Und doch merkt man an diesen Beispielen, wie effizient "Markt" funktioniert, denn fast alle illegalen Transaktionen finden heute (leider) auch noch statt, nur scheut dieser Markt das Licht der Öffentlichkeit und das Risiko erwischt zu werden wird eingepreist und verteuert die Leistung. Ein Markt, der nicht mehr öffentlich stattfindet, entzieht sich sowohl Handlungsregeln als auch Regulierung. 😉

Somit ist das Wichtigste, dass man eine rechtssichere Umgebung schafft (mit so wenig Handlungsregeln wie möglich und so vielen wie nötig), über die Einhaltung dieser Regeln streng und effizient wacht und diese über einen möglichst langen Zeitraum stabil hält. Mindestens so lange, bis sich etwas prinzipiell geändert hat.

Zum Schluss noch mal ein kompliziertes Beispiel, das zeigt, wieso man in den "freien Markt" möglichst nicht eingreifen sollte: der Wohnungsmarkt
Seit mehreren Jahrzehnten existiert in Deutschland ein sog. Mietspiegel, an dem sich Mieten zu orientieren haben bzw. bei deren Überschreitung der Tatbestand des Mietwuchers erfüllt sein kann. So "schwach" der Mietspiegel auch war, so hat dies doch ausgereicht, dass seit Bestehen immer zu wenig Wohnraum geschaffen wurde. Hinzu kamen noch "Sozialwohnungen", die zum einen den Durchschnitt nach unten verfälschten und zum anderen die Nachfrage negativ beeinflussten.
Durch die "Klimakrise" wurden die Bauvorschriften in den letzten 20 Jahren drastisch verschärft, was zu Mehrkosten von ca. 30% beim Wohnungsbau führte. Nachdem die Angebotsseite bzgl. der Güter sehr unelastisch ist (es dauert halt sehr lange Wohnungen zu bauen), wird hier quasi alles über den Preis geregelt. Auch ist Wohnraum i.d.R. sehr individuell (von Wohnblocks mal abgesehen), so dass selbst eine gleich große Wohnung im gleichen Haus im gleichen Stockwerk einen anderen Preis erzielen kann, nur weil sie z.B. anders geschnitten ist oder andere Lichtverhältnisse aufweist.
Der neueste Coup ist die "Mietpreisbremse". Weil die vorherigen Eingriffe in den Markt nicht das gewünschte Ergebnis erzielten, hat man z.B. in Berlin weitere Regeln eingeführt um die Miete zu begrenzen - hierzu aber natürlich wieder dämliche Ausnahmen geschaffen, wie z.B. dass diese für stark renovierte Wohnungen nicht gilt. Man muss nicht Astrophysik studiert haben, um vorherzusagen, was passiert: Mietshäuser in begehrten Lagen werden gekauft, entmietet, generalüberholt und extrem teuer vermietet. D.h. das Ziel, nämlich Wohnraum "günstig" zu halten, wurde nicht erreicht, sondern das Gegenteil - das, was an Wohnraum da ist, wird tendenziell teurer. Investoren renovieren lieber bestehenden Wohnraum als neuen zu schaffen (zumal das mit dem Schaffen auch nicht so leicht ist) und Mieter bleiben länger in den Wohnungen, weil das Angebot immer noch knapp und die Preise hoch sind. Das Gegenteil von gut ist gutgemeint.
Mit diesem (stark elaborierten Beispiel, sry) wollte ich nur aufzeigen, dass Märkte extrem komplex sein können, hier spielen Faktoren wie Zeit, Arbeitsmarkt, Einzigartigkeit der Ware, Kosten, Umwelt, Infrastruktur, Lage, Zins, Technik und natürlich Angebot und Nachfrage hinein. Insofern ist es eine unglaubliche Anmaßung zu glauben, man könnte mit der "richtigen" Bürokratie bessere Ergebnisse erzielen, als der freie Markt. Die Geschichte lehrt uns das genaue Gegenteil.

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