Sonntag, März 27, 2022

Es werde Religion - Mustererkennung

Dies ist der zweite Teil meiner Betrachtung der neuen Religionen. 

Auf Grund der vielfältigen neuen Glaubensrichtungen, die wir heutzutage beobachten, scheint es mir angebracht eine gewisse Klassifizierung und Bewertung einzuführen. Ich möchte mich dabei auf die folgenden Merkmale konzentrieren.

Dichotomie

...oder anders ausgedrückt - schwarz-weiß-Denken. Die Einteilung der Welt in Gut und Böse, also etwas, was wir außer in Filmen oder im Theater - oder eben in Religionen - sonst nicht beobachten. Die islamische Einteilung in haram und halal fällt genauso darunter wie die christlichen Sünden bzw. Todsünden. Diese Einteilung ist das Fundament für die Spaltung der Gesellschaft. Bist Du nicht für mich, bist Du gegen mich, bist Du nicht gut, dann musst Du böse sein usw.usf.. Je stärker dies ausgeprägt ist, desto belastender oder bedrohlicher ist es für eine liberale, pluralistische Gesellschaft.

Heilige Schriften

Viele Religionen berufen sich auf heilige Schriften, die bei näherer Betrachtung wohl eher den Namen "unheilige Schriften" verdient hätten. Aber auch bei weltlichen Ideologien lässt sich das beobachten. So schrieb der Führer "Mein Kampf", Mao Zedong die nach ihm benannte Mao-Bibel oder Marx' und Engels' kommunistisches Manifest. Oftmals wurden die Verfasser "inspiriert" oder es wurde ihnen gleich vom jeweiligen Gott diktiert. Das perfide daran, man kann so gut wie nie mit dem Verfasser sprechen und muss sich dann der Exegese hingeben, also der Interpretation des Geschriebenen. Die zerstörerische Kraft, die solchen Schriften innewohnt ist, dass man es quasi mit Axiomen zu tun hat, unhinterfragbaren Behauptungen, deren Infragestellung schon einen Akt der Blasphemie darstellen kann. Insofern kann über diese Schriften nicht frei diskutiert werden. Hinzu kommt meist noch eine Art von religiösem Beleidigtsein und wie man sich anmaßen könne, das Wort Gottes in Frage zu stellen (oder so ähnlich).

Heilige

Jede Ideologie hat Identifikationsfiguren, Halbgötter, Heilige oder wie sie auch immer heißen mögen, kurz: Personen oder Entitäten, die eine herausragende Rolle spielen. Darunter fallen auch Propheten, Kirchenlehrer, Päpste oder Könige, sofern sie einen hinreichenden Einfluss auf die Ideologie bzw. Religion nehmen. Im säkularen Umfeld könnte man hier z.B. Marx, Engels oder Fidel Castro für den Kommunismus nehmen, wie auch die Giordano-Bruno-Stiftung für die Denkrichtung des säkularen, kritischen Humanismus.

Verhaftung im Diesseits

Jede Glaubensrichtung muss eine Verankerung im Diesseits haben, d.h. zumindest einen oder mehrere Bezüge zu dieser Welt, die sich den Anhängern quasi unmittelbar erschließen. Meist ist man selbst dann das von Gott erwählte Volk oder der von den Göttern bewohnte Berg steht im eigenen Land oder man hat gleich ganze heilige Städte in denen dann Gläubige ein Stück Meteorit küssen können. Ohne Diesseits, und ohne Folgen für das Diesseits, geht es nicht. 

Ausblick ins Jenseits

Mindestens genauso wichtig ist der Blick in die Zukunft, meist auf das Leben nach dem Tod. Was passiert mit mir, mit meiner Familie, meiner Sippe, meinem Land? Hierunter fällt der Tag des jüngsten Gerichts genauso, wie ein Arbeiter- und Bauernstaat oder eine Reinkarnation. I.d.R. ist das die Karotte, die dem Gläubigen vor die Nase gehalten wird und zu deren Erringung er die größten Scheußlichkeiten zu tun bereit ist.

Utopie

Eng verwoben mit den beiden vorhergehenden Punkten ist eine Utopie oder quasi-Utopie, die den meisten Ideologien innewohnt. Hier spielt auch der erste Punkt wieder herein.
Die Kurzform der Utopie-Erzählung geht so: Die Welt ist grausam und schlecht, doch wenn wir alle Christen/Kommunisten/Muslime wären und an Jesus/Marx/Allah glaubten, dann wäre hier Friede-Freude-Eierkuchen auf Erden. Dass dem nicht so ist, hat beeindruckend der Katholizismus im europäischen Mittelalter bewiesen. Aktuell beweisen die islamischen Staaten wie Saudi-Arabien oder Afghanistan, dass es auf der muslimischen Seite genauso wenig funktioniert wie auf der christlichen. 

Regeln

Regeln, Gesetze, Gebote, Handlungsvorschriften oder Anweisungen, keine Ideologie kommt ohne sie aus. Das ist auch insofern offensichtlich, als dass jede effektive soziale Gemeinschaft einen Satz von Regeln haben muss um funktionieren zu können. Der Unterschied zu weltlichen Regeln oder Gesetzen ist jedoch der, dass diese ihre Autorität von der göttlichen Herkunft beziehen. Gott gab Mose die 10 Gebote, als sind diese nicht hinterfragbar. Allah diktierte Mohammed den Koran, so dass sich hier auch Kritik erübrigt. Die zweite Auffälligkeit, v.a. bei religiösen Regeln, ist der Ein- und Durchgriff in die Privatsphäre. Der christliche Gott & Allah mögen keine gleichgeschlechtliche Liebe, also müssen das deren Anhänger bitte genauso pfui-bäh finden. Allah und Mohammed mögen kein Schwein, also dürfen die Anhänger kein Schwein essen.. usw.. Eine Erklärung für dieses Micro-Management, diese Gängelung, ist, dass wer sich schon bei den Alltäglichkeiten gegängelt und überwacht fühlt, das Große und Ganze schon gar nicht mehr in Frage stellen kann. 

Das missachten der Regeln wir i.d.R. als Sünde bezeichnet. Die Missachtung muss, wenn sie offenbar wird, entsprechend bestraft werden. Deswegen sehen wir heute v.a. in muslimischen Ländern noch allerlei Selbstjustiz, Religionspolizei oder ähnliches, bei denen Menschen gegen andere Menschen vorgehen, weil ja ihr allmächtiger Gott dazu nicht in der Lage zu sein scheint.

Gemeinsamkeiten

Alle Ideologien zeichnen sich dadurch aus, dass sie entweder prinzipiell nicht widerlegbar sind oder sich dem kritisch rationalen Diskurs durch Taschenspielertricks entziehen. In den meisten Fällen handelt es sich um billiges umdefinieren der Begriffe oder letztendlich ein Rückzug auf die Welt des Glaubens, so dass ja nichts mehr geprüft und bewiesen werde müsse, weil der Glaube alleine ja genüge. Wissenschaft ist solange ok, solange sie Gott, Marx, Mohammed oder Buddha "beweist", wenn sie diese aber widerlegt, dann ist es Teufelszeug. Eine Information, die nicht in das Weltbild passt, wird ignoriert, bekämpft, verboten oder, wenn möglich, assimiliert.

Solange sich Ideologien in der Minderheit befinden, betonen sie Ihre Verletzlichkeit und suhlen sich in der Opferrolle. Gleichzeitig nutzen sie jede Möglichkeit, nach der Macht zu greifen und diese dann in genau ihrem Sinne zu nutzen. 

Anhand dieser Muster werde ich im nächsten Teil versuchen die neuen Glaubensrichtungen abzuklopfen.

Den ersten Teil finden Sie hier.





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