Wir leben in spannenden Zeiten. Nicht nur mir drängt sich der Eindruck auf, dass wir an der Schwelle stehen, an der sich neue Glaubensrichtungen herauskristallisieren. Auch Michael Shellenberger oder John McWorther sind dieser Ansicht. Ich möchte meine vorherigen Sticheleien in diese Richtung nun etwas profunder ausführen, dabei gilt es jedoch zunächst ein paar allgemeine Dinge klarzustellen.
Zunächst ist als gesetzt festzuhalten, dass in unserer Spezies der Hang zur Religion latent ist. Meine beste Erklärung dafür ist die folgende, natürlich aus einer evolutionsperspektivischen Sicht: in einer sozialen Gemeinschaft passieren immer wieder Dinge, die unvorhersehbar, unerklärlich oder aus einer persönlichen Perspektive schrecklich sind, wie z.B. eine zerstörte Ernte, der Tod eines Kindes, der Überfall durch einen anderen Stamm, Krankheiten etc.. Wir hatten damals keine und heute nur begrenzte Möglichkeiten uns diese Ereignisse zu erklären und hatten und haben ebenso nur begrenzte Möglichkeiten einen erneuten Eintritt derartiger Ereignisse zu verhindern. Hier kommt jetzt quasi-religiöses Denken ins Spiel, denn durch das Verschieben eines natürlichen Problems (zerstörte Ernte) auf eine metaphysische Ebene (erzürnter Wettergott), erhält man eine Pseudoerklärung und kann sich wieder seinem Tagesgeschäft zuwenden. Eine Pseudohandlung zur Verhinderung gibt es auch - opfere ein kleines Tier an einem Altar, damit die Ernte gut wird. Wird die Ernte wieder schlecht, dann war das Tier zu klein - es ist bitter, aber so einfach sind wir gestrickt und das leider auch noch heute.
Erschwerend kommt hinzu, dass wir Kausalfetischisten sind, d.h. wir erfinden kausale Zusammenhänge, wo in Wirklichkeit nur Korrelationen bestehen, d.h. das zufällige Zusammentreffen von Ereignissen. Am erschreckendsten zeigte sich das bei den Südamerikanischen Ureinwohnern, die eine Kausalität zwischen dem Opfern eines Menschen und dem Wiederaufgehen der Sonne feststellten. Insofern mussten 365 Leute pro Jahr über die Klinge springen, damit es in Südamerika nicht finster blieb.
Aus diesen beiden Punkten (Pseudoerklärung und Pseudokausalität) ergibt sich dann ein drittes Kennzeichen von Religionen, nämlich Handlungsvorschriften. Wir müssen etwas tun (z.B. beten) oder etwas nicht tun (z.B. enthaltsam leben) um der Pseudokausalität zu genügen. Dies manifestiert sich u.a. in den mannigfaltigen Regeln, die v.a. im jüdischen und christlichen Glauben (Torah, altest Testament) festgehalten sind. Ritualisierte Handlungen an bestimmten Wochentagen, Ernährungsvorschriften (die ggf. einen tatsächlich wissenschaftlichen aber unbekannten Grund hatten und deswegen seitens der Religion verboten wurden, um das Verbot unhinterfragbar zu machen), Geburts- und Sterberituale bis hin zur genitalen Verstümmelung von Kleinkindern usw.usf.. Die Handlungen dienen vornehmlich dazu, das Gute zu beschwören und das Böse abzuhalten. Gut und Böse, halal und haram, eine dichotomische Einteilung der Welt wohnt auch den meisten Religionen inne.
Zu guter Letzt noch die Ausrichtung auf die Zukunft. Hier gibt es verschiedene Ausprägungen, der Tag des jüngsten Gerichts, die Reinkarnation, der Himmel auf Erden (wenn nur alle das gleiche glauben), der Weltuntergang. Der Phantasie sind hier kaum Grenzen gesetzt. Wichtig ist nur, dass das Ziel konkret genug ist, um es zu verstehen und vage genug, um dessen Nichteintreten aus dem Glaubenskontext heraus erklären zu können. So erschließt es sich dem Kirchenkritiker nicht, warum im Mittelalter, bei einer Katholizismusquote von fast 100% nicht das Himmelreich auf Erden in Europa herrschte. "Erklären" lässt sich das aber wieder damit, dass ja noch nicht die gesamte Welt christianisiert war und anscheinend der Berggott vom Sinai namens Jahwe mit seinen paradiesischen Zuständen noch etwas hinterm Berg hielt. Warum herrscht in muslimischen Theokratien nicht FriedeFreudeEierkuchen oder warum ging es den Tibetis unter der Knute der Lamas so mies? Weil der Mensch halt schlecht ist und irgendeine Pseudohandlung nicht richtig ausgeführt wurde o.ä.. Wenn man in magischem Denken verhaftet ist, ist kaum eine Erklärung zu absurd um nicht in das Gesamtkonstrukt eingebaut werden zu können.
Für die abrahamitischen Religionen sieht das - vereinfacht dargestellt - dann so aus:
wir wurden von einem höheren Wesen (Gott) geschaffen um in dieser Welt die Vorstufe zum Paradies zu erleben. Handlungen in dieser Welt beeinflussen unseren Status in der Zukunft. Es gibt Handlungen die dem Wesen besser (z.B. Beten) gefallen und andere, die ihm weniger gefallen (z.B. Sex). Irgendwann landen alle im Himmel oder der Hölle.
Dadurch, dass man sich hier ständig zwischen der physischen und metaphysischen Welt hin- und herbewegt, hat man es mit einem Problem zu tun, dass genau so schwierig ist, wie einen Pudding an die Wand zu nageln. Lässt sich ein Problem (z.B. woher kommen wir) greifen (Evolutionstheorie), so kann die metaphysische Ebene von den Gläubigen nach belieben angepasst werden (z.B. Gott hat uns nicht persönlich "geschaffen" aber die Welt und die Evolution).
In den kommenden Beiträgen dieser kleinen Serie werde ich versuchen aufzuzeigen, wie sich in bestimmten Bereichen neue Glaubensrichtungen herauskristallisieren. Wir wissen z.B. auch nicht genau, wie das Christentum angefangen hat. Was wir wissen ist, dass Paulus einer der essentiellen Urheber des neuen Glaubens bzw. des Schismas vom Judentum war. Wie lange das gedauert hat und wie es im Detail ablief, lässt sich heute nicht mehr wirklich rekonstruieren. Und genauso ist es mit den Glaubensrichtungen, die ich vorstellen werde. Evtl. setzen sich diese nicht durch, verschwinden nach ein paar Jahren wieder oder manifestieren sich erst in zehn, zwanzig oder fünfzig Jahren als fester Bestandteil unserer Kultur. Die von mir vorgesehenen Themen sind:
- Klimakatastrophismus
- moderner Anti-Rassismus
- weitere Ideologien und warum sie als Religion versagen
"If it looks like a duck, and quacks like a duck, we have at least to consider the possibility that we have a small aquatic bird of the family anatidae on our hands."
Douglas Adams
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen