Sonntag, Februar 02, 2020

Das Wort zum Sonntag #72

Thema heute: Religion und Wissenschaft

Ausgangspunkt zur heutigen Diskussion ist dieses Video:

https://mobile.twitter.com/rightwingwatch/status/1220740601781608448

Daraufhin gab es einen Thread (hier nur ein Auszug), den ich mir erlaubte zu kommentieren:
Worauf ich natürlich korrigiert wurde:
Das soll die Ausgangsthese heute sein, in Europa gäbe es ein Christentum, das mit "rationalem Verstand kompatibel" sei, das "Wissenschaft als Gewinn/Geschenk" begreife.

Natürlich kann man jede Religion solange weichspülen, dass sie irgendwie mit der Realität übereinstimmt. Bestes Beispiel hierfür ist der Deismus, der Glaube daran, dass Gott quasi das Universum anschubste, sich aber ansonsten raushält. Doch genau das tut das Christentum ja nicht. Deus io vult - Gott will es so, war schon der Spruch der Kreuzzügler und ist im Prinzip auch der Duktus der Kirche. Alles geschieht so, wie Gott es will.

"Experiment und induktive Forschung wurden verbannt, die Erfahrungswissenschaften durch Bibel und Dogma erstickt, Naturwissenschaftler in Gefängnisse und auf Scheiterhaufen getrieben. 1163 verbietet Papst Alexander III. … allen Klerikern das Studium der Physik. 1380 untersagt ein französischer Parlamentsbeschluss jede Beschäftigung mit Chemie unter Berufung auf ein Dekret von Papst Johann XXII." (Deschner)

Dachte man jetzt, mit dem Mittelalter wäre der Drops gelutscht und danach wäre es besser geworden - weit gefehlt. Im Jahr 1864 verurteilte der damalige Papst Pius IX. mit dem Syllabus errorum so ziemlich alles, was dem Christentum bzw. der Catholica ein Dorn im Auge war. So zum Beispiel:
  • Religionsfreiheit
  • Menschenrechte
  • Meinungsfreiheit
  • Demokratie usw.
Auch diese ARD-Seite, bringt es trefflich auf den Punkt, wenn sie sagt:

Der Vatikan hat Wissenschaft und Kirche als miteinander vereinbar erklärt. Doch es gilt auch weiterhin: Bei den beiden Wissensquellen Vernunft und Offenbarung hat die Offenbarung, also der Glaube, noch immer den Vorrang.

Und so war es immer, seit in der Wissenschaft die wissenschaftliche Methode angewandt wurde. Darwin traute sich nicht, die Evolutionstheorie zu veröffentlichen, weil diese konträr zur kirchlichen Lehrmeinung stand. Kopernikus hat sein Heliozentrisches Bild unseres Sonnensystems nicht veröffentlicht - aus Furcht vor dem Shitstorm der Exkommunikation. Kepler, der es dann tat, bekam keinen Lehrstuhl mehr.

Jetzt im 21. Jahrhundert, nachdem die Anzahl der Gläubigen stetig sinkt, unser Verständnis der Welt immer besser wird und der Lückenbüßergott kaum noch Lücken findet, da kommen dann Aussagen, wie die obige, meist gestützt auf die "papstliche Akademie der Wissenschaften", zuerst von 1603 bis 1641, dem Tode Galileis bestand, die dann von obigem Pius IX. 1847 wiederhergestellt und in der heutigen Form erst von Pius XI. 1936 eingerichtet wurde. Nach dem Motto, umarme, was Du nicht umbringen kannst, schmückt sich seitdem der Heilige Stuhl mit einer unabhängigen Forschung in dieser Einrichtung. Wenn es hart auf hart kommt, bezweifle ich aber, dass aus dieser Akademie etwas nennenswertes entsteht. Ich vermute mal, es ist das wissenschaftliche Feigenblatt, mit dem man die naturalistisch veranlagten Gläubigen vom Austritt abhalten will.

Besser als Roland Fakler kann man es eigentlich nicht zusammenfassen:
Jahrhundertelang mussten wenige mutige Forscher wissenschaftliche Erkenntnisse gegen die Kirchen durchsetzen: Kopernikus, Galilei, Kepler, Darwin…
In den protestantischen Ländern war dies leichter, weil es dort keine allmächtige Autorität gab, die dies hätte verhindern können, in den Niederlanden, England, USA.
Schließlich ist die Kirche auf den laufenden Zug aufgesprungen, behauptet heute selbst Wissenschaft zu treiben und dass sie schon immer für die Wissenschaft war.
Nichts was unsere Gesellschaft heute ausmacht, weder im politischen, sozialen oder im wissenschaftlichen Umfeld ist wegen des Christentums vorhanden - man müsste eher sagen: trotz! Alles musste gegen den erbitterten Widerstand der Kirche erkämpft werden. Blinder Glaube hat uns von den Erkenntnissen der Antike weggeführt in ein finsteres Mittelalter, in der Heiligenlegenden Allgemeinbildung ersetzten und die einzig "Gelehrten" noch Geistliche und Adelige waren, also ein paar Prozent der Bevölkerung - und das auch nur in Konformität zum Christentum bzw. der Kirche. Imho haben wir dadurch einige hundert Jahre an kultureller und wissenschaftlicher Entwicklung eingebüßt und vielleicht stellte sich heute die Frage nach dem Klimawandel gar nicht, weil unsere Vorfahren diesen schon vor 100 Jahren gelöst hätten... 😉

Wer nicht denken kann, glaubt. Wer Angst vor dem Denken hat, glaubt. Wer glaubt, denken zu können, glaubt. Und das glauben fast alle. (Deschner)

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