Sonntag, Januar 05, 2020

Das Wort zum Sonntag #70

Thema heute: (A)Soziale Netzwerke

Obwohl mein Twitter Account schon seit 2009 existiert, habe ich erst in den letzten paar Wochen angefangen diesen zu nutzen. Facebook & Instagram kenne ich nur vom Hörensagen, ich gehe aber davon aus, dass die Lage dort ähnlich ist. Ich habe ein prinzipielles Problem mit dem Begriff "folgen", für mich schwingt hier - rein semantisch gesehen - noch der Leichengeruch des dritten Reichs mit oder die lange verbreitete autoritäre Erziehung, in beiden Fällen musste/sollte (bedingungslos) gefolgt werden. Vielleicht hätte ich mit "einseitig verknüpfen" weniger Probleme, aber diese Bezeichnung ist halt für ein Smartphone definitiv zu lang. Ich versuche mich daran zu gewöhnen und "folge" mittlerweile auch ein paar Leuten.

Twitter schlägt mir jetzt natürlich basierend auf den Leuten denen ich schon folge, wieder neue Leute vor, denen ich auch folgen könnte. Praktisch ist, dass diese sich meist in den gleichen Bereichen befinden. Insofern lädt Twitter gerade dazu ein, sich in einer Bubble einzuigeln. Bubble bedeutet hier, dass man quasi nur Leuten folgt oder von Leuten vergefolgt wird, die annähernd das gleiche denken oder die gleiche Meinung haben wie man selbst.

Meine steile These heute ist, dass dieses Blasenverhalten in Kombination mit Followern sich auch nicht viel anders manifestiert als eine Pseudoreligion. Jedoch sind die Inhalte dermaßen wenig festgezurrt, dass, wenn man den Finger in die Wunde legen wollte, diese schon wieder etliche Tweets weiter ist und eine andere "#Umweltsau" durchs Dorf getrieben wird. Ich werde dazu auch leider ein bisschen ausholen müssen.

Umweltsau deswegen, weil sich vor Weihnachten dort folgendes "Drama" (kurz zusammengefasst) ereignete:

1. Akt
FridaysForFuture Germany (FFF) hatte folgenden post am 23.12. abgesetzt
Leider kann man hier die Uhrzeit nicht erkennen, aber zwischen dem ursprünglichen post und "was darf Satire" vergingen m.W. einige Stunden. Wäre beim ersten post wenigstens ein Zwinkersmiley dabei gewesen, dann hätte man das auf Anhieb als satirischen Seitenhieb auffassen können. Wie man auch an den "likes" (den Herzchen) sehen kann, fanden das bis zum 1.1. über 4.000 Leute toll. Natürlich haben sich sofort Leute aufgeregt, dass das ja im Prinzip gegen die Großeltern Generation geht, die viel geleistet haben usw. weswegen FFF noch am selben Tag die untenstehende Entschuldigung postete. Meine persönliche Meinung ist, dass dies als bewusste Provokation gemeint war (dieses "Wachrütteln" halt) und man seitens FFF erst dann zurückruderte, als die Stimmung im Keller war.

2. Akt
Wahrscheinlich auf Grund dieses kleinen Shitstorms (denn nicht alle 5.382 Antworten waren freundlich - aber ich habe mir auch nicht alle durchgelesen) fühlte sich der WDR verpflichtet Schulterschluss zu zeigen und hat mit einem Kinderchor eine Persiflage auf "Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad" eingesungen und anschließend online gestellt. Meines Wissens wurde das nie gesendet. Der Vollständigkeit halber sei auch dieser angeführt:
Den FFF Tweet fand ich schon wenig prickelnd, v.a. weil er nicht wirklich lustig war. Eine der wichtigsten Eigenschaften von Satire sollte sein, dass man darüber lachen kann oder sich zumindest vorstellen kann, dass darüber jemand lacht, wenn man selbst eine Spaßbremse ist. FFF war da imho einfach zu ernst und zu bemüht. Und genauso mutet der Kinderchor an, man "bemüht" sich die Nachkriegsgeneration auf die Schippe zu nehmen - aber es sieht nach Angestrengtheit und Wortschubserei aus. Außerdem ist die Zielgruppe des Spotts ja gerade nicht besonders in den sozialen Medien unterwegs. Besser wäre es gewesen, das wirklich über den Sender zu jagen, evtl. mit einer zweideutigen Anmoderation von Helene Fischer o.ä., damit die Zielgruppe der Satire wenigstens eine Chance hat, das mitzubekommen. Oder man hätte es einfach lassen sollen.

3. Akt
Der Shitstorm der dann über den WDR hereinbrach war noch heftiger als der des FFF. Man (d.h. in dem Fall Rechte) fühlte sich zu Spontandemos vor dem WDR Gebäude berufen, es gab einen "Brennpunkt" oder so (ich schaue ja kein Fernsehen) in dem der Intendant sich dafür entschuldigte.

Sidekick an dieser Stelle war ein freier Mitarbeiter des WDR, der - und auch hier schlägt imho wieder schlechte Satire zu - den FFF post mit dem WDR-Song zusammen persiflierte und die Großelterngeneration als #Nazisäue bezeichnete. Ok, kann man machen, muss man aber nicht. Es gab dann natürlich den entsprechenden Sidekick-Shitstorm gleich noch gratis obendrauf mit (zumindest lt. seiner Aussage) noch ein paar Morddrohungen und der dämlichen Idee, man möge doch den freien Mitarbeiter rauswerfen.

Selbstredend, dass der WDR das Video offline nahm - aber das Internet vergisst und vergibt nicht, deswegen kann man es oben noch sehen 😉

Epilog:
Auf jeden Fall schien das Weihnachtliche Newsloch gestopft, denn bis heute werden dazu Kommentare verfasst, Artikel geschrieben, die Lage analysiert usw. Vermutlich kam der meiste Shit des Storms aus der rechten Ecke (zumindest beim WDR). Einen recht guten Kommentar finde hier diesen hier.



Ich hatte mich aus dem Ganzen rausgehalten, da es mir einfach zu blöd war. Der Brightsblog hatte am 30.12. dann diesen Artikel übernommen und über Twitter geteilt, was mich (leicht genervt) zu der Aussage nötigte (sinngemäß), mich nerve diese ganze Geschichte und ich wäre der Meinung, man müsse in einer "freien, pluralistischen Gesellschaft" auch mal andere Meinungen aushalten können. Darauf bekam ich dann diese Antwort (von unten nach oben lesen - der Hayekjünger bin latürnich ich):
Ok, ich habe ja schon viele Vorwürfe in meinem Leben ertragen müssen, aber ein Sympathisant des Faschismus zu sein war für mich ein Novum. Ich habe mich, v.a. auch über die Kirchenkritik, eingehend mit dem Nationalsozialismus und den anderen faschistischen Diktaturen (Italien, Spanien) in Europa auseinandergesetzt, und keine Haltung läge mir ferner als die der Faschisten. Faschisten wollten nämlich gerade keine freie und pluralistische Gesellschaft mit Meinungsvielfalt und gegenseitigem Respekt, sondern einen möglichst gleichgeschalteten, gutgeölten Gesellschaftsapparat, in welchem "zersetzende" Meinungen am besten gleich noch vom Blockwart aussortiert werden, bevor sich die Parteikader damit befassen müssen. Und ja, in diesem Punkt unterschied sich auch die DDR, das Leuchtturmprojekt des Kommunismus, nicht viel von dem, was vor 1945 schon da war, da die Meinungsfreiheit dort auch nicht gegeben war, alles und jeden einsperrte, der nicht die offizielle Linie vertrat (sollte es anders gewesen sein, korrigiert mich bitte). Rechte und linke Extrempositionen haben oft mehr gemein, als diesen lieb ist.

Und obwohl wir in Deutschland eine (fast) uneingeschränkte Meinungsfreiheit besitzen, übernehmen jetzt die a-sozialen Netzwerke die Aufgabe der Meinungspolizei, nach dem Motto "der Schwarm kann ja nicht irren" - Schwarmintelligenz eben, ähnlich wie bei den Fliegen, die sich von einer braunen Masse angezogen fühlen, v.a. wenn sie nach Scheiße riecht. Mit einer genügend großen Masse an Folgern, kann man sich dann auch leicht dazu aufschwingen und Leute in diesen Medien fertigmachen.

Und was für ein Wunder, das passiert dann auch regelmäßig. So hat man die "Nuhrsau" (825862 Follower) durchs Dorf getrieben, weil er den Hype um Greta (3.890.034 Follower) in seinem Programm satirisch verarbeitet hat (und das auch fortgesetzt, denn es gibt keine schlechte PR, was dazu führte, dass er ständig im Gespräch blieb). Ich habe hier einen netten Video dazu gefunden (und Frau Wernli in mir einen neuen "Follower" 😉).

Es gibt einige Themen, von denen man lieber die Finger lässt, so man nicht sozialmedial geohrfeigt werden möchte:

Rassismus:
Bis jetzt war ich der Meinung, dass einem zunächst unterstellt wird, man wäre ein Arassist, solange, bis man sein Gegenüber vom Gegenteil überzeug hätte. Twitter hat mich vom Gegenteil überzeugt, anscheinend lauern manche Teilnehmer mit ihren Goldwaagen nur darauf, gewisse Äußerungen in eine Richtung zu drängen. Ich sage nicht, dass es diesen auf Twitter nicht gibt, aber bevor man die Rassismusskeule rausholt, sollte man sich zumindest das Profil und ein paar Tweets desjenigen anschauen.

Faschismus:
Ich musste schon lange nicht mehr so oft das Wort "Nazi" lesen, wie in diesem Netzwerk - mir fehlt wahrscheinlich die Facebook-Referenz. Wie oben geschildert, ist der Weg zum Faschismus ein sehr kurzer - zumindest für die Teilnehmer der Zwitscherplattform. Nach dem Motto, wer eine Ansicht hat, die rechts neben meiner ist, kann ja nichts mehr anderes als ein Nazi sein. Auch hier ist die Triggerschwelle sehr niedrig, die Empörtheit sehr hoch und "gefühlt" muss man sich in regelmäßigen Abständen seiner Ferne zum Faschismus erklären (wer nicht hüpft der ist für Kohle ein Nazi) um nicht doch als verkappter Ewiggestriger zu gelten. Für mich ist Antifaschismus der Normalzustand eines jeden Diskussionsteilnehmers, bis seine Antworten oder sein Profil etwas anderes besagen. 

Diskriminierung & Sexismus:
Ich weiß nicht mehr wo ich das gehört habe (evtl. bei Nuhr?), aber es ist anscheinend unglaublich wichtig einer Minderheit anzugehören. So man in einer selbigen ist, ist natürlich alles sofort diskriminierend. Mal ein ketzerisches, hypothetisches Beispiel:
- eine alleinerziehende PoC-Frau wird von ihrem weißen männlichen Vorgesetzten beruflich "getadelt" (was auch immer das sein mag, sei dahingestellt)
So das getwittert würde, kämen höchstwahrscheinlich folgende Reaktionen: Chauvinist, Sexist, mehr Frauen in Führungspositionen, die Hautfarbe ist schuld - bei einer Weißen hätte er das nicht gemacht usw.usf.. Gleiches gilt für LBGTQ, wichtig ist, dass man sich in einer Minderheit befindet, die dann als schützenswert gilt. Ich bin ein sog. Auslandsösterreicher, noch dazu Atheist. Wenn man die Demographischen Werte von Österreich in Bezug auf Religion übernimmt, so dürften in Deutschland noch ca. 40.000 Leute wie ich unterwegs sein, was gegenüber 500.000 Afrodeutschen ja schon irgendwie mickrig aussieht. Aber zuallererst bin ich natürlich ein "alter weißer Mann", der sich bei jeglichem Diskurs über LBGTQ, Ethnien oder Religion im Allgemeinen oder den Islam im besonderen zurückhalten muss und der als "Ösi" oder "Schluchtenscheißer" betitelt werden darf, ohne dass jemand Partei ergreift - ich bin ja die Mehrheit 🙄
 
Ich könnte hier noch mehr Dinge aufzählen, Tiere sind toll, Umweltverschmutzung ist bäh, Politik ist doof, Kinder sind süß, SUV sind kack usw.. Wer einen Tweet mit solcherlei Grundtenor absetzt, der ist sich (bei genügend oder der richtigen Folgerzahl) seiner Likes sicher. Und ja, es ist halt etwas herziges, wenn man von anderen ein Herzchen bekommt, weil man in 280 Zeichen eine lesenswerte Botschaft gepackt hat.

Das Schlimme an dieser Kultur, quasi die Kehrseite der Medaille der sozialmedial inszenierten Selbstbeweihräucherung ist der Verlust der Diskussionskultur. Ich habe noch nie so viele ad hominem Argumente gehört bzw. gelesen wir hier. Nicht der Inhalt der 280 Zeichen ist wichtig, sondern wer das sagt und ggf. wie er es sagt. Bei den Antworten (wie oben zu sehen) werden u.U. gleich Dinge unterstellt (homophob, islamophob, LBGTQ-phob, frauenfeindlich usw.), obwohl das mit dem Argument nichts zu tun hat. Wiederum ketzerisch ausgedrückt: auch ein faschismussympathisierender Hayekjünger könnte mal ein valides Argument zur Diskussion beisteuern.

Um jetzt, nach diesem langen Exkurs, wieder auf meine These zurückzukommen, quasi-religiöses Verhalten innerhalb sozialer Netzwerke. Bei den bekannten religiösen Vereinigungen sind die besetzten Themen sehr statisch, die katholische Kirche bewegt sich ungefähr in der Geschwindigkeit der Kontinentalplatten. Bei den pseudo-religiösen Bubbles der Netze sind die Themen volatil, die Geschwindigkeit sehr hoch. Es besteht die Gefahr, Informationen wenig oder gar nicht zu prüfen und ggf. auf einen falschen Zug aufzuspringen (wie z.B. bei Nuhr und dem Greta-Hitler Vergleich, der so nie stattgefunden hat - aber man hatte sich schon mal warmgetwittert…). Als weiterer Faktor kommt hinzu, dass man i.d.R. nicht nur Teil einer Blase ist, sondern ggf. mehrere die auch noch Schnittmengen haben können. In diesen Blasen wird man weitestgehend gegen Kritik abgeschottet. Eigene Beiträge werden goutiert, sofern sie der Linie der Blase entsprechen, unliebsame "Störer" werden im Zweifel blockiert. Gewisse Stereotype können als quasi-Dogmen begriffen werden, wobei aber diese nicht unumstößlich sind. Eine gewisse Kritikimmunisierung, wie auch bei verschiedenen etablierten Religionen, kann man auch beobachten, auch mit ähnlichen Beißreflexen. Auch die Rechten scheinen das für ihre Zwecke einzusetzen, indem - wie beim WDR Kinderchor - über eine Nichtigkeit ein Shitstorm angezettelt wird. Ist diese Maschinerie erst mal in Gang gesetzt, dauert es nicht lange bis nach Verboten oder arbeitsrechtlichen Konsequenzen (vulgo: Entlassung) gezwitschert wird. Eine Art von (religiösem) Eifer lässt sich manchmal auch durchaus feststellen 😉

Ich würde mir von allen Seiten etwas mehr Gelassenheit wünschen. Nicht jeder ist der Meinung, dass z.B. eine gendergerechte Sprache zu den wichtigsten Problemen unserer Zeit zählt - und diese Meinung muss man halt genauso hinnehmen, wie andere nicht wollen, dass für ihr Essen ein Tier sterben muss. Der Sender der Nachricht, sollte so präzise und klar wie möglich formulieren, der Empfänger so unvoreingenommen und ergebnisoffen wie möglich diese interpretieren. Der Dialog ist das Wichtige, die Argumente wichtiger, als die Person die sie vorbringt. Niemand hat die Weisheit gepachtet und unumstößliche Wahrheiten gibt es nur in Glaubenssystemen. Amen 😛

Und bzgl. Follower bin ich immer noch näher bei Nietzsche, der gesagt hat:
"Was? du suchst? du möchtest dich verzehnfachen, verhundertfachen? du suchst Anhänger? - Suche Nullen!"
...aber ich arbeite dran 😉 

Keine Kommentare: